Unsere Lieblingsbücher

Ahmed

Bildquelle: Schaltzeit Verlag
Ahmed
von Barroux
aus dem Französischen von Claudia Sandberg
32 Seiten
1. Aufl. 2016
Schaltzeit Verlag
ISBN: 978-3-941362-89-5
14,90€




Eine wunderbare, besondere Geschichte über die stille Beziehung  eines kleinen Jungen zu einem Obdachlosen


für Kinder ab 5 Jahren


Auszug:

»Mein Vater sagt, er ist ein Stadtstreicher.«
- »Weißt du, was das ist?«
- »Ja, jemand der keinen festen Wohnsitz hat.«
- »Aber er sitzt doch immer am gleichen Platz!«
- »Na, dann ist er auch kein Stadtstreicher!«

*


Menschen, die mich kennen wissen, dass ich die Bücher von Barroux liebe. Seine Art in Bild und Wort zu erzählen ist einfach faszinierend. Seinen Figuren verleiht er durch die unterschiedlichsten Illustrationsweisen so viel Ausdrucksstärke, dass man immer nur wieder fasziniert hin schaut. Auf den ersten Blick muten sie vielleicht zuweilen ein wenig reduziert und einfach an, aber genau darin liegt das Besondere. Mit wenig viel erzählen. Dies gelingt durch die Kombination von Techniken, oft experimentell, mit großen Farbflächen in die hinein er oft nur wenige Striche zeichnet, die so viel mehr erzählen, als man zunächst vermutet. Durch die Fokussierung auf das wesentlich lenkt er uns Betrachter. Sei es die rote Mütze des Jungen oder  die kantigen Gesichtszüge des Obdachlosen mit den scheinbar wirren Strichen die den Bart bilden. Für den ein oder anderen wirken seine Bilder dunkel und kühl doch das ist nicht so. Farben setzt er bewusst ein um einen Fokus zu setzten, zu akzentuieren und Stimmungen zu transportieren. Erst durch den Wechsel von dunklen, kantigen Illustrationen und hellen farbigen Bildern werden die Botschaften und Intentionen deutlich. Liebliches wie eine reduziert gezeichnete Blumenranke in Verbindung zu kantigen Elementen mit denen er das Bild eines Wüstenkönigs beschreibt wirken im ersten Moment sehr konträr vermitteln dem Betrachter aber eine poetische anmutende Botschaft. Besonders faszinierend ist für mich immer wieder,wie er bei dem kleinen Jungen mit nur zwei kleinen Strichen Augen zeichnet die Stimmungen in Perfektion transportieren.
Barroux ist bekannt dafür, dass er Geschichten erzählt, die nicht jeder erzählen mag. Eine Kindergeschichte über einen Obdachlosen zu erzählen, ist wichtig wird aber selten thematisiert.
Obdachlose, Stadtstreicher oder wie immer man sie nennen mag sind Teil unseres Lebens. Teil eines Stadtbildes. Und dennoch nehmen wir sie entweder gar nicht wahr oder als Ärgernis obwohl sie in der Regel einfach nur da sind. Wenn ich jemanden auf der Straße, vor einem Laden oder in einem Park sehe frage ich mich wie es dazu kommen konnte, dass er auf der Straße lebt. Doch ich frage ihn nicht selbst. Ich gebe ihnen etwas und würde gerne mehr erfahren doch ich frage nicht. Ich ärgere mich über mich selbst das ich nicht frage. Manchmal denke ich mir selbst eine Geschichte aus, die passen könnte. Neulich zum Beispiel als eine junge Frau zusammengekauert am Boden saß. Vor ihr ein Becher. Da musste ich an meine Tochter denken, die im Amerika umher trampt Musik macht und erzählt wie freundlich die Leute zu ihr sind. Das Mädchen was ich traf sah nicht glücklich aber auch nicht richtig unglücklich aus. Ich gab ihr etwas Geld und ging. Seither sehe ich sie regelmäßig. Jedes Mal gebe ich ihr etwas. Wir verständigen uns mit freundlichen Blicken. Eine seltsame aber auch schöne Begegnung, auf die ich mich irgendwie schon freue.
Wieso ich das hier bei einer Buchbesprechung erzähle?
Ganz einfach. Als ich jetzt dieses Buch von Barroux in Händen hielt war es ein klein wenig wie bei mir.
Erzählt aus der Ich-Perspektiver eines kleinen Jungen lässt Barroux seine Geschichte lebendig werden.
Der kleine Junge nimmt immer den gleichen Schulweg. Morgens wie abends. Abends sitzt ín einer dunklen Ecke fast unsichtbar ein bärtiger Mann. Von seiner Erscheinung her erinnert er den Jungen an einen Wüstenkönig. In poetischer Weise lässt er uns an seinen Vorstellungen von dem Land teilhaben. Hierbei stellt er sich nicht nur das Land vor sondern auch das Leben in dem er sich den Mann, den er immer Abends an der selben Stelle trifft hineinprojiziert. Eine schöne Vorstellung gezeichnet in warmen,viel sandigen  Farbtönen. Auch hier Bleistiftzeichnungen, die an das Architekturstudium des Bilderbuchmachers erinnern hinein gezeichnet in Farbflächen. Die Figuren mit kleinen Farbakzenten wie z.B. einem roten Schal oder einem farbigen Pulli. Beim Betrachten wird einem warm ums Herz. Wir fühlen fast die Luft und den Sand unter unseren Füßen so intensiv erreichen uns die Bilder.
Dann wird es wieder dunkler. Unser kleiner Protagonist erzählt uns, dass es Winter geworden ist und die Obdachlosen nun meist in Behelfszelten schlafen. Er fragt sich ob auch sein "Freund" dort nächtigt und er fragt auch seinen Vater, der ihm mit viel Verständnis und Rat zur Seite steht. Der Junge hat ein Indianer Zelt. Ob der Mann auch wie ein Indianer im Zelt schläft?
Eigentlich sieht der Junge den Mann nur in der Ecke sitzend. Doch hin und wieder steht er auch auf. Dann wirkt er wie ein mächtiger Riese. Den die meisten Menschen im Vorbeigehen dennoch nicht wahr nehmen. Es gibt aber einige wenige, der auf ihn zu gehen, ihm auch mal etwas zu Essen reichen.
Mit ausdrucksstarken, eindrucksvollen Bilder vermittelt uns Barroux ein tiefes Gefühl für das Leben auf der Straße, bei Wind und Wetter. Gleichzeitig aber auch für das Interesse und die Sorgen die sich der Junge um den Mann, der mit der Zeit ein stiller Freund wird, macht. Als dieser dann plötzlich nicht mehr kommt ist der Junge sehr traurig stellt sich dann aber vor, das der Mann zurück in seinen warmen, sonnigen Wüstenstaat gekehrt ist.
Warme, farbige Bilder führen uns mit viel Hoffnung und Licht aus der Geschichte, die auch wenn sie oft mal dunkel ist dennoch nicht dunkel ist.
Ich habe das Buch in den letzten Tagen viel vorgelesen. Kindern im Alter zwischen 4 und 12 Jahren. Es war erstaunlich mit welcher Aufmerksamkeit und mit welchen Gedanken sie der Geschichte folgten und später im Gespräch eigene Erlebnisse mit der Geschichte verknüpften.
Was deutlich zu erkennen ist, das Buch baut Schranken ab. Es führt einen in und durch ein Thema, mit dem Erwachsene sich leider oftmals nicht auseinander setzten wollen, das Kinder aber beschäftigt. Viele der Kinder berichteten davon, dass sie regelrecht von ihren Eltern weggerissen wurden und nicht hinschauen sollten. Fragen wurden eigentlich nie beantwortet.
Jetzt einmal darüber zu sprechen und auch überlegen zu dürfen wieso jemand auf der Straße lebt war für viele fast wie eine Erleichterung.
Ich hoffe es wird bald mehr von Barroux Büchern geben und bin jetzt schon gespannt welches Themas er sich dann annimmt.


http://www.schaltzeitverlag.de/ahmed.html