Bildquelle: Marta Press
P.s. Es gibt Lieblingseis
von Luzie Loda
44 Seiten
1. Aufl. 2018
Marta Press
ISBN 978-3-944442-46-4
16,00€
Das Begleitmaterial für Lehrkräfte und Pädag*innen ist ab ca. 01. September 2018 hier
https://www.marta-press.de/cms/verlagsprogrammkinderbuch/loda-lieblingseis
downloadbar. Das Material wird erstellt von der Bildungsinitiative QUEERFORMAT und Ev-Blaine Matthigack.
downloadbar. Das Material wird erstellt von der Bildungsinitiative QUEERFORMAT und Ev-Blaine Matthigack.
Wie erklärt man Kindern Intergeschlechtlichkeit?
Dieses Buch zeigt wie einfach im Grunde ein scheinbar schwieriges Thema näher gebracht werden kann
für Kinder ab 5 Jahren
Luzie Loda hat ein sehr beeindruckendes Buch zum Thema Intergeschlechtlichkeit erschaffen, das nicht nur unsere Lesekinder sondern auch Eltern unglaublich beeindruckt hat.
Auch wenn man es nicht realisiert, es sind viel mehr Menschen, viel mehr Kinder denen es genau so geht wie unsere Kleinen Protagonistin / unserem kleinen Protagonisten Bella. Eigentlich ist es traurig, das man in unserer Gesellschaft immer in Schubladen gesteckt wird. Da gibt es einfache Schubladen und welche die schwieriger bestückt sind. Randgruppen nennen wir sie. Aber wieso eigentlich. Jeder ist anders. Keiner verdient es in eine Schublade gesteckt zu werden, doch unterbewusst arbeiten wir fast alle mit diesem Schubladendenken.
Und eine der Schubladen, die viele vielleicht lieber ganz geschlossen lassen würden ist die Schublade Intergeschlechtlichkeit.
"So dumm!" sagte mir ein Mädchen nach einer Vorlesestunde und sie hat recht. Es ist einfach dumm. Wieso werden Menschen die intergeschlechtlich sind, in denen sowohl männliches, als auch weibliches steckt, von vielen fast wie Aussätzige behandelt? Wieso behandeln viele Menschen sie als seien sie krank? Wieso meiden sie ihre Gesellschaft? Wieso wird von einer Störung gesprochen?
Selbst im 21. Jahrhundert und unter Menschen, die sich für tolerant und aufgeschlossen halten ist dies ein Tabuthema.
Unsere Lesekinder, viele der Eltern und auch ich können das nicht verstehen. Letztendlich entscheiden wir doch ob wir jemanden mögen oder nicht an ganz anderen Kriterien. Und so haben wir mit den Kindern einmal überlegt worauf wir achten, wenn ein Neuer in unsere Gruppe kommt, woran wir festmachen ob wir ihn mögen oder nicht, was passieren muss, damit er/sie vielleicht ein neuer Freund wird. Selbst kleine Kinder ab 3,5 Jahren haben da schon sehr konkrete Vorstellungen. Ich brauche hier nicht aufzählen, was das für Merkmale sind, eines jedoch ist klar: ob ein neuer Freund nun Junge oder Mädchen ist, das spielt sehr häufig ( wenn überhaupt) nur ganz weit hinten in der Skala eine Rolle.
Ich lese mit unseren Kindern viel Bücher zu sogenannten Problemthemen. Dazu gehören Tod, Behinderung, Scheidung und z.B.auch Demenz. Die Themen der Lesungen werden vorher bekannt gegeben. Es geht also niemand so ganz unvorbereitet in die Vorleserunde. Gerade bei den sogenannten Problemthemen haben wir viele kleine Zuhörer mit ihren Eltern während lustige oder jahreszeitliche Geschichten überwiegend von Kindern allein gehört werden. Wieso ist das so?
Die Antwort liegt im Grunde auf der Hand. Zuhause solche Bücher zu lesen bedeutet auch Rede und Antwort zu stehen. Kinder haben nun mal Fragen. Es ist wichtig eine Geschichte, wie immer sie auch ist nachbesprechen zu können bzw. mit einem Gespräch auszuleiten.
Also kommen die Eltern gerne mit um selbst einen Weg zu finden ihre Sprachlosigkeit zu überwinden. Mit dem was wir in den Vorleserunden erfahren, sei es aus der Geschichte oder den abschließenden Gesprächen ist es viel einfacher hinterher noch Fragen zu beantworten. Die Hemmschwelle ist überwunden.
Jetzt mag der ein oder andere fragen, wieso ich das erzähle und nicht auf das Buch direkt eingehe. Manchmal ist es einfach wichtig, ist es mir einfach wichtig, etwas voran zu stellen um den Fokus dann auf die Geschichte zu lenken. Hemmschwellen überwinden, einen Zugang finden. Dies macht auch die Medienwissenschaftlerin, Kulturvermittlerin und in diesem Fall auch Bilderbuchmacherin Luzie Loda auch in dem sie die Menschenrechtlerin Lucie Veith in einem kleinen, gut verständlichen Vorwort etwas über Intergeschlechtlichkeit, Gesellschaft und Rechte erzählen lässt.
Was nun folgt ist für viele erwartungsvolle erwachsene Leser vielleicht seltsam. Luzi Loda erzählt eine zunächst ganz "normale" Geschichte über einen ersten Schultag. Die Situation kennt jeder. Viele Menschen, Kinder mit Schultüten, in Erwartung endlich in die Klasse gehen zu dürfen, Freunde zu treffen. Genauso geht es auch Bella. Sie/ Er hat die Schule und auch viele der neuen Klassenkameraden schon beim Kennlerntag gesehen. Mit Alex hat sie/ er sogar Fußball gespielt. Aus der Ich -Perspektive lässt uns Bella an diesem ersten Schultag teilhaben. Für Kinder, die dies noch vor sich haben ist es bestimmt auch eine tolle Geschichte zur Vorbereitung auf die Schule. Offen und wie als würde er /sie direkt zu uns sprechen erzählt der Kleine/die Kleine vom Geschehen und wie er/sie sich dabei fühlt. Auch in der Klasse ist erst einmal alles, wie man es kennt, oder zumindest ähnlich.
Da sich die meisten noch nicht beim Namen kennen wird erst einmal das Spiel "Mein rechter, rechter Platz ist frei....." gespielt. Die Umsetzung als Illustration des Spiel fand bei den Kindern großen Anklang. Hier wurden lediglich Kleidungsgegenstände um einen großen Kreis herum angeordnet. z.B. eine Latzhose, Sandalen, Hosenträger, eine Brille oder auch ein Kleid. Da man sich noch nicht beim Namen kennt versuchen die Kinder etwas zu finden was das gemeinte Kind beschreibt. z.B. "das Mädchen mit der Fliege". Jola wünscht sich Bella herbei. Doch da Jola noch nicht weiß das Bella, Bella heißt sagt sie:" das kleine Mädchen mit dem Zauber T-Shirt".
Und nun werden wir in Bellas Welt als intergeschlechtliches Kind geführt, denn Bella gefällt es nicht, das er/sie als klein bezeichnet wird und auch Mädchen ist nicht richtig. Klar, dass das erst einmal alle verwundert. Keines der Kinder hat je etwas von intergeschlechtlich gehört. Gut das Bellas Klassenlehrerin Frau Tronte Bella schon kennengelernt hat. Gemeinsam mit ihren Schülern ( Schülerinnen) überlegt sie, was Bella meint. Die Kinder stellen Vermutungen an bis Bella es selbst erklärt. Man kann sich denken mit welchen Fragezeichen auf der Stirn die Kinder an diesem Tag die Schule verlassen, auch wenn sie jetzt wissen was intergeschlechtlich bedeutet. Klar auch, dass sie zuhause davon berichten und einige Eltern nicht so verständnisvoll reagieren. So erzählt uns Bella von einem Mädchen das an einem der nächsten Tage auf ihn/ sie zu kommt und erzählt, dass die Mutter gesagt hat, dass es das nicht gibt. Im Schulalltag gibt es immer wieder Situationen, wo es schwierig ist wenn man sowohl Junge als auch Mädchen ist. Auf welche Toilette geht man, wo zieht man sich beim Sport um? Alles Dinge, die im Kindergarten nicht getrennt wurden und nun zum Problem werden und das nicht nur für die anderen sondern ganz besonders für Bella der/die einfach so sein will er /sie ist und nicht auffallen oder eine Sonderstellung einnehmen möchte. Und diese Probleme können belasten. Besonders belastet Bella aber auch, das Alex, mit dem er/sie so gerne Fußball spielt sich von ihr zurückzieht. Das alles belaste ihn/sie so sehr, das er/sie gaaaanz traurig wird. Auch diese Gefühlslage beschreibt und vermittelt er/sie uns unterstützt von einer sehr ausdrucksstarken Illustration. Bella hat Glück. Die Eltern wissen mit der Intergeschlechtlichkeit umzugehen. Für sie ist Bella einfach Bella und das können sie auch wunderbar erklären. So geht der Vater einige Tage später in die Schule um mit den Kindern über das Thema zu reden.
Eindrucksvoll nimmt er die Schüler/innen an die Hand, macht mit ihnen Experimente, die viele Kinder ratlos stehen lassen.
So sollen sich die Kinder mit lockigem Haar auf die eine und die mit glatten auf die andere Seite Stellen. Doch was ist mit den Kindern die Zöpfe haben, oder leichte Wellen?
Auch bei der Unterteilung in große und kleine Kinder fallen viele aus dem Raster.
Und nun klärt sich auch der Titel der Geschichte schon ein wenig.
Im Grunde ist das Eis mit seiner Vielfallt an Sorten der Schlüssel zur Toleranz nicht nur zur intergeschlechtlichen Erklärung. Die Kinder die Schokoeis am liebsten mögen sollen sich auf die eine Seite stellen und die die Erdbeereis am liebsten mögen auf die andere.
Doch die meisten Kinder mögen weder die eine noch die andere Sorte, haben andere Lieblingssorten. Im Grunde haben alle eine andere Lieblingseissorte.
Jetzt erkennen die Kinder, das es gut ist, wenn es Vielfalt gibt. Es gibt kein besser oder schlechter sondern für jeden ist etwas anders am besten. Dank der Vielfalt ist alles möglich.
Eigentlich ist es eine so simple Erklärung, die noch dazu bei den Kindern sofort verstanden wird. Nicht nur in Bellas Geschichte sondern auch bei unseren Lesekindern und den Eltern.
Wenn einem bewusst wird wie simpel es doch ist zu erklären, dass Schubladendenken einfach nur dumm und unnütz, ja sogar sehr hinderlich sein kann, ist es ein wenig so als sei ein Knoten geplatzt sagte eine Mutter nach der Lesestunde.
Bellas Geschichte geht noch etwas weiter, Der Titel "p.s. es gibt Lieblingseis!" spielt hier noch eine wichtige Rolle und zeigt, das Bella in der Klasse angekommen ist, doch wir alle wissen, es wird immer wieder auch schwierige Situationen geben mit denen Bella konfrontiert werden wird. Für Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter ist es mit der richtigen Aufklärungsarbeit, so wie es Bellas Vater gemacht hat noch relativ einfach. Das Buch trägt viel dazu bei zu zeigen, das Vielfalt in allen Bereichen unser Leben bunt und reich macht, wir müssen uns aber auch darüber im Klaren sein, dass das allein nicht reicht. Wir müssen es bewusst Leben um all denen, die in Schubladen denken deutlich zu machen, dass ihre Schubladen dumm sind.
So ist Bella mit der Geschichte zur Intergeschlechtlichkeit nicht nur ein Türöffner für dieses Thema sondern für ganz, ganz viele andere Bereiche, wie Behinderungen oder auch Fremdsein ( Ausländerproblematik) und das macht das Buch in meinen Augen noch wertvoller als es ohnehin schon ist.
Die einfachen, sehr ausdrucksstarken Illustrationen, eine Kombination aus Collage und feinen Zeichnungen, verstärken durch ihre Klarheit die Situationen wunderbar. Wir können uns als außenstehende Betrachter so gut in Bella und die anderen hineinfühlen. Fokussiert auf das Wesentliche lenkt den Beobachter nichts ab sondern er wird aufgefordert sich genau mit diesem Bild, dieser Sequenz auseinander zu setzten.
Ich sagte es ja bereits, die Illustration des Stuhlkreises fanden unsere Lesekinder besonders gelungen, da eben nicht Junge oder Mädchen zu sehen waren sondern nur Teile ihrer Kleidung. Ein besonders Bild das sofort klar werden lässt wieso die Illustratorin dieses Spiel genau so darstellt. In Kombination mit Bellas erzählenden Geschichte wird besonders deutlich wie unwichtig es ist ob da jetzt ein Junge oder ein Mädchen sitzt. Die Kleidung allein und auch lange oder kurze Haare, sind schon lange kein Anhaltspunkt mehr ob wir es mit einem Mädchen oder Jungen zu tun haben, also lassen wir doch einfach diese Einteilung ganz. Wir alle sind Menschen. Ein bunter Haufen, unterschiedlichster Arten, Wesen, Charaktere...... . Wenn wir uns gegenseitig respektieren und akzeptieren, so wie wir sind - und das fängt schon damit an ob man dick oder dünn ist-, dann würden wir viel dafür tun, das die Welt nicht nur bunt sondern auch friedlicher ist.
Dieses wunderbare Bilderbuch sollte die Tür zur Intergeschlechtlichkeit öffnen, öffnet aber nicht nur diese Tür sondern viele, viele anderen und auch die Knoten in unserem Kopf in unseren Herzen. Bei unseren Lesekindern und den Eltern ( besonders den Eltern) war es so, das haben spätere Gespräche gezeigt. Hoffentlich löst es auch die Knoten vieler, vieler Leser.
Luzie Lodas "p.s. Es gibt Lieblingseis" sollte in jeder Einrichtung, sei es Kindergarten, Gemeinde oder Schule gelesen werden.
Und damit dies auch gelingt gibt es am Ende des Buches noch richtig gute Tipps für Eltern und Pädagogen, wie man mit Kindern über das Buch und das Thema sprechen kann. Darüber hinaus gibt es Material zum Download
Aber auch Bella erzählt uns zum Abschluss noch einiges Informatives. In
"Wusstest du, dass......" nimmt Bella Bezug auf die Geschichte und einige Textstellen. Leicht verständlich erzählt er /sie von Dingen, über die wir alle uns vermutlich noch kaum Gedanken gemacht haben. Und auch beim Schreiben dieser Buchvorstellung kam ich ins schleudern. Bella" ist für uns ein Mädchenname also schreibe ich sie obwohl es nicht richtig ist und bediene damit prompt eine Schublade. Bella erzählt das "er" ihm besser gefällt und schon wieder überlege ich wie ich schreibe. "Das ihr "er" besser gefällt als "sie" ? Nein, ...das "er" ihm besser gefällt als "sie".
Es wird wohl noch lange dauern, bis unsere Köpfe da anders reagieren aber zumindest unsere Herzen sind jetzt schon entknotet bzw. lassen sich hoffentlich schneller öffnen.
Einige unserer Lesekinder haben das Buch so ins Herz geschlossen, das sie mich schon gefragt haben wann ich wieder von Bella vorlesen und wollten wissen ob es noch mehr Bella Geschichten gibt.
Ja, liebe Luzie Loda wir würden uns freuen mehr von Bella zu erfahren.
Erst einmal bleibt mir nur Danke zu sagen für dieses wundervolle Buch, zu einem Thema, das schwierig klingt weil wir es schwierig machen, dabei ist es doch so einfach.
"P.S. Es gibt Lieblingseis!"
p.s. Fast hätte ich es vergessen, unsere größeren Lesekinder machten mich darauf aufmerksam:
Dank größerer klarer Druckschrift und nicht zu viel Text ist das Buch auch von etwas geübten Leseanfängern schon gut selbst zu lesen. Unsere Selbstleser waren ab Übergang zur 2. Klasse und älter.
Hier der Link zum Buch