Unsere Lieblingsbücher

Warum wir vor der Stadt wohnen

Bildquelle: Fischer Sauerländer Verlag
Warum wir vor der Stadt wohnen
von Peter Stamm 
mit Bildern von Jutta Bauer
48 Seiten
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7373-5749-4
        Sauerländer Verlag
     16,00€

Eine Geschichte in 18 Stationen, über die Art zu leben, über Bedürfnisse und Wohlfühlen
für Kinder ab 5 Jahren

Euch diese Geschichte näher zu bringen ist gar nicht so leicht.
Wieso?
Ganz einfach sie ist herrlich verrückt und hat doch sehr viel Tiefe.
Es ist eine Geschichte in 18 Stationen, die in sich abgeschlossen sind und von einer inhaltlichen Konstante begleitet werden.
Es ist eine sehr wundersame, wundervolle Geschichte, die uns die Welt um uns herum in vielen Facetten vermittelt und nicht nur die Welt sondern auch den Mond.
Es war einmal eine Familie, die wohnte in einem Haus mit einer blauen Lampe, die Tag und Nacht brannte. Wenn die Sonne schien war es so heiß, das man die Vorhänge zum Schutz zu ziehen musste und bei Regen hörte man das Wasser den Rinnstein hinunter plaetschern.
Eigentlich war alles so wie wir es vielleicht auch kennen.
"Der Vater las vier Zeitungen, die Mutter kaufte drei Stühle, die Großmutter strickte zwei Paar geringelte Socken...…….. und der Großvater verlor eine Sonnenbrille."
Auch das ist Alltag den wir so oder ähnlich kennen .
Doch es gab ein Problem.
Die Schwester war immer traurig.
Und weil sie immer traurig war beschloss die Familie umzuziehen.
Auch das ist vielleicht noch nicht weiter ungewöhnlich denn hin und wieder zieht man aus den unterschiedlichsten Gründen um.
Bislang deutet noch nichts auf die Ungewöhnlichkeit hin, die uns in den nächsten Stationen die Fragezeichen auf die Stirn schreiben wird, denn die Familie wird nicht nur einmal umziehen sondern jede der in sich abgeschlossenen 18 kleinen Geschichten erzählt von einer neuen Wohnform. Zunächst zieht die Familie bestehend aus Vater, Mutter, Großeltern und Kindern in einen Trolleybus. Ich muss gestehen, den Ausdruck kannte ich nicht doch die Geschichte offenbarte nicht etwa eine Wohnbus, wie wir ihn kennen sondern einen ganz normalen Linienbus, der Passagiere von A nach B bringt viele Stationen oder auch nur ein paar. Das war praktisch da mein keine Miete bezahlen musste obwohl so ganz umsonst war es dann auch nicht da Fahrkarten gelöst werden mussten. In dieser Zeit lerne die Mutter vier neue Sprachen, der Großvater verlor drei Zähne, der Bruder fand zwei neue Freunde, und die Großmutter hatte eine Lungenentzündung." Und wieder gab es einen Grund umzuziehen. Nicht etwas wegen der Lungenentzündung der Mutter sondern weil...….
So zogen sie in den Wald und vom Wald auf das Dach einer Kirche, vom Kirchendach in den..... und von dort ins Hotel. Als der kleine Bruder jedoch eines der, täglich neu bereit gestellten, Stücke Seife aß und krank wurde mochten sie auch hier nicht bleiben.
Sie zogen ins Nirgendwo und weil sie da keine feste Anschrift hatten mussten sie die Post selbst von der Post holen. Was später eigentlich auch nicht mehr nötig war denn die Leute vergaßen sie und so bekamen sie auch keine Post mehr.
Sie gingen von nirgendwo nach nirgendwo und lernten dabei alle Straßennamen auswendig. Auch das war nichts von Dauer und sie zogen in ein Haus mit...… . Da wurde es der Mutter allerdings zu laut und sie zogen auf den Mond. Auf dem Mond war es still doch auf ewig war das ebenfalls nicht und so zogen sie in ein...…. Von dort in den..... und …… bis sie irgendwann in ein Haus vor der Stadt zogen. Ein Haus wie viele es kennen und der Alltag der oft viel Gleiches bringt.
Hier scheint es ihnen zu gefallen denn die Geschichte endet mit:

".....und hier wohnen wir, und hier werden wir wohl noch lange bleiben."
Es bedarf zuweilen viel Phantasie des Lesers um dem Geschehen gedanklich zu folgen und sich auf die neue Situation einzustellen. Was ist das für eine Familie? Sind das Menschen wie du und ich oder Winzlinge? Stellen sich zu Begin der Geschichte noch die Fragezeichen ein verliert sich das jedoch schnell und die Phantasie des Betrachters geht mit der Fantasie der Geschichte. Wir fragen nicht mehr nach der Größe der Figuren. Ob Mensch oder Winzling ist völlig egal. Und so erleben wir in jeder der Geschichten eine Wohnform, die viel neues erleben lässt. Vieles ist gut und einiges weniger Gut. Jeder geht mit der Situation anders aus, macht das beste draus und doch gibt es immer wieder einen Grund umzuziehen. Mal wegen der Schwester, mal wegen der Mutter, mal wegen... . Sie scheuen sich nicht auch im Wald zu wohnen und sogar unter Brücken. ES sind Orte an denen wir nicht unbedingt wohnen würden. An einigen könnten wir auch gar nicht wohnen aber das spiel auch keine Rolle denn das was und wie sie in jeder dieser Zeiten leben ist mit Inhalt gefüllt den wir irgendwie auch kennen.
Und so ist diese etwas wundersame und auch poetische Geschichte ein Feuerwerk der Phantasie, das den Leser in andere Welten mit nimmt und uns viel von der Welt erfahren lässt. Aber nicht nur von der Welt sondern auch über Bedürfnisse die jeder hat und nicht bei allen gleich sind. So ist jeder Umzug die suche nach dem richtigen Platz, an dem sich alle wohlfühlen können. Eine Reise mit 16 Stationen und einen Happy End, auch wenn der Großvater unterwegs eine andere Reise antritt.
Ich muss zugeben, als ich das Buch das erste Mal gelesen habe (allein), da wurde mir schummrig . Es war wie als würde man einen Zug besteigen, der zunächst im Bahnhof steht und langsam immer mehr Fahrt aufnimmt. Schneller und schneller, und schneller, und schneller..... .Nur das das Schnelle sich nicht aus der Geschwindigkeit herleitet sondern aus der Fülle an Informationen, die nach und nach immer surrealer werden und immer mehr Fragezeichen auftauchen weil man zu rational in der Geschichte unterwegs ist. Doch dann wird der Zug wieder langsamer man kann die vorbeifahrende Umgebung wieder bewusst wahrnehmen und genießt nur noch den Aus- Einblick- voller Verrücktheiten und Phantasie bis der Zug wieder zum Stillstand kommt und man angekommen ist. Angekommen wie die Familie. Dann steht man da auf der Wiese vor dem Haus und möchte der Familie zum Abschied nur noch zu winken und ihr viel Glück wünschen.
Dieses Bilderbuch hat bei aller Phantasie ganz viele verschiedene tiefe Botschaften und reichlich Einblicke in Lebensformen und Lebenssituationen. Sie zu verstehen ist Kindern ab etwa 5 Jahren gut möglich. Die ganze Geschichte am Stück vorzulesen ist hier nicht angebracht, denn es gibt viel zu viel zu verarbeiten. Vielmehr würde ich zu Beginn etwa drei Stationen mit den Kindern lesen, darüber sprechen und dann entscheiden ob man weiter liest oder erst einmal pausiert. Zwei bis drei Stationen als eine Vorleseeinheit haben sich in unseren Vorleserunden bewährt. Mit Grundschulkindern der dritten Klasse haben wir es auch ganz gelesen.
Jede der 18 Geschichten geht über zwei Buchseite. So finden wir auf dem linken Teil der Doppelseite den Text darunter eine kleine schwarz-weiß Bleistiftzeichnung in der wir viele Umzugsszenen erleben und auf der rechten Seite eine großformatige Illustration. Die Illustrationen scheinen auf den ersten Blick sehr klar, verweilt man jedoch und lässt das Auge schweifen, dann entdeckt man viele kleine liebevoll platzierte Details, die entweder zum besseren Verständnis beitragen oder noch weitere Geschichten am Rand erzählen.
Bilder und Geschichten vereinen sich so zu einem Ganzen, dass realistisch wirkt und doch so phantastisch ist.
Ein zauberhaftes Bilderbuch nicht nur für Kinder.
Ein zauberhaftes, phantasievolles Bilderbuch.
Ein zauberhaftes, phantasievolles, surreales, poetisches...… Bilderbuch, das viel zu erzählen hat, über das man sprechen sollte.


https://www.fischerverlage.de/buch/Warum_wir_vor_der_Stadt_wohnen/9783737357494