Unsere Lieblingsbücher

Yaotaos Zeichen

Bildquelle: Kunstanstifter Verlag
Yaotaos Zeichen
ein Bilderbuch von Yi Meng Wu
104 Seiten
1. Aufl. 2017
Kunstanstifter Verlag
ISBN: 978-3-942795-58-6
24,00€

Eine anspruchsvolle, wunderbare, gefühlvolle interkulturelle Zeitreise
Asien trifft Europa
vom Fremd sein und Ankommen

für Kinder ab 5 Jahren und Erwachsene

"Was für ein tolles Buch!" 
War der erste Gedanke als ich das Buch zuklappte und erst einmal inne halten musste.

Zweifelsohne ist dies ein Buch, das einen von Anfang an fesselt und so schnell nicht mehr los lässt. Es ist ein Buch, das mit 104 Seiten für ein Bilderbuch ungewöhnlich dick ist.
Es ist nicht einfach so ein Bilderbuch.
Es ist ein Kunstwerk.
Es gibt wenige Bücher, die mich so gefesselt haben wie dieses.
Immer wieder muss ich feststellen, das gerade die Autoren und Illustratoren, die Bilderbuchmacher, die aus dem asiatischen Raum stammen oder dort ihre Wurzeln haben eine besondere Art haben zu erzählen. Erzählen durch ihre unglaubliche Ausdrucksstärke in Wort und Bild. Die einem eine Geschichte nahe bringen, die man für immer im Herzen behält.
War es vor langer Zeit Ed Young mit seinen "7 blinden Mäusen" und zahlreichen weiteren Bilderbüchern, sind es jetzt Yi Meng Wu aber auch  Pei-Yu Chang mit ihrem Debüt Werk "Der geheimnisvolle Koffer von Herrn Benjamin", das wir hier im Blog auch schon vorgestellt haben.

Yi Meng Wu erzählt ein Geschichte, die auf geschichtlichen, historischen Fakten beruht von Krieg, Vertreibung, Fremd sein, Ankommen und den unterschieden der Kulturen.
China trifft Frankreich.
*
Nun aber erst einmal zu dieser wunderbaren Geschichte

Lucie wohnt in Lyon. Sie ist ein kleines neugieriges aufgewecktes Mädchen mit chinesischen Wurzeln ,zu einem Teil.
Eines Tages entdeckt sie beim Spielen auf dem Dachboden ihrer Großeltern einen alten Koffer.
Als sie ihn öffnet flattern ihr viele bunte Zeichen entgegen. Sie weiß es sind  chinesische Zeichen, doch sie kann sie nicht lesen. 
Ihr Großvater hat einmal von seinem Vater, Yaotao erzählt. 
Ob ihm der Koffer gehört hat?
Noch während Luci über das nachdenkt was ihr der Großvater erzählte hört sie eine Stimme.
Es ist Shui, das Zeichen für Wasser. Shui lädt sie auf eine Reise in die Vergangenheit ein. Eine Reise zu den Wurzeln ihrer Familiengeschichte, in der sie alles über ihren Urgroßvater Yaotao, seine, Familie, sein Leben und seine Gefühle erfährt. Es wird eine aufregende oft auch traurige Reise an dessen Ende noch mehr Erzählungen auf sie warten werden, die sie dann von ihrem Großvater erzählt bekommt. Uns als Leser bleiben sie verschlossen denn das Buch endet mit der Aussicht auf Neues.
Vielleicht der Stoff für ein zweites Buch?
Wir begleiten Luci erst einmal bei ihrer Reise, die im Jahre 1930 beginnt.
Yatao, Lucis Urgroßvater reist von Peking nach Shanghai um von dort ein Schiff nach Europa zu nehmen. Es war eine Zeit in der viele junge Leute von Zuhause weg gingen um in der Fremde neu anzufangen, denn in ihrer Heimat gab es Bürgerkrieg. Es waren unruhige Zeiten in denen die Perspektive auf ein gutes Leben schwand. Wer die Gelegenheit hatte nutze sie um fort zu gehen.
Für Yaotao war es schwer seine Familie zu verlassen, der Familienzusammenhalt zählte für ihn sehr viel. Von seinem Vater bekam er ein paar Nüsse des Ginkobaums mit, die ihn an seine Heimat erinnern sollten.
Niemand konnte damals wissen ob Yaotao jemals seine Familie wiedersehen würde.
Die Überfahrt mit dem Dampfschiff dauerte etwas 5 Wochen. In Frankreich angekommen musste er den Zug nach Lyon nehmen.
Shui, das Zeichen für Wasser begleitet Lucie genau bis dort hin denn  dann kommt DI das Zeichen für Erde. Für eine Zeit lang wird Di Luci auf ihrer Reise in die Vergangenheit begleiten und erzählen wie es Yatao erging.
Frankreich, Lyon war fremd für den jungen Chinesen. Die Menschen anders gekleidet, sprachen eine andere Sprache, die er nicht verstand und dennoch gab es auch hier die kleinen Momente des Heimatgefühls. Er wohnte in einer Art chinesischen Siedlung mit anderen Studenten, die alle nur ein Ziel hatten. Die Sprache lernen und studieren.
Yaotao lernte viel, nicht nur die Sprache sondern auch von der französischen Kultur, der Art zu Leben, über das Essen. Er möchte Arzt werden. Ein langer, schwieriger Weg in einem noch so fremden Land, in das er sich dank seiner offenen Art schnell integriert.
Eines Tages, als er wieder auf Erkundungstour durch die Straßen ist verläuft er sich und lernt dabei eine junge Französin kennen und liebem.
Mit ihrem gemeinsamen Weg verabschiedet sich DI das Zeichen für Erde und JIA das Zeichen für Liebe flattert herbei.
JIA wird Luci nun begleiten.
Yaotao ist nun Arzt und die beiden nicht mehr allein. Laurence und Yaotao haben einen Sohn bekommen, Francois-Hua, Lucis Großvater.
Dann erreicht sie ein beunruhigender Brief. Yaotaos Vater ist schwer erkrankt.
Die junge Familie beschließt nach China zu reisen.
Beim Packen entdeckt Yaotao die Ginkonüsse und pflanzt eine davon in den Vorgarten. Einen Freund bittet er seinen alten Lederkoffer mit dem er damals nach Frankreich kam aufzubewahren.
Ob sie jemals wieder nach Lyon zurück kehren werden ist genauso ungewiss wie damals als Yaotao seine Heimat verlassen hat.
Nun kommt das Zeichen DONG auf Luci zu. DONG steht für Osten und wird sie auf die Reise nach China begleiten.
6 Jahre nach seiner Abreise ist Yatao wieder zurück in seiner Heimat. Dieses Mal ist es für seine Frau Laurence ein fremdes Land.
Auf sie wartet nicht nur eine neue Kultur und Sprache sondern auch noch ein fester Familienverband mit Traditionen.
Sie wird zwar von allen herzlich aufgenommen,  bleibt aber irgendwie eine Fremde, trotz neuer Freunde.
In China gab es immer Unruhen, dies war ja auch ein Grund wieso Yaotao seine Heimat verließ und nach Frankreich ging doch nun gab es einen Wiederstandkriegs. Schlimmer als alles zuvor.
Yatoa war Arzt und ging in den Krieg um den Soldaten zu helfen doch er bei diesem Einsatz stirbt er.
Die Verhältnisse in China werden schlimmer. Hunger, Armut und Heimweh veranlassen Laurence mit ihrem Sohn Francois-Hua nach Europa zurück zu gehen.
Luci ist furchtbar traurig dies schlimmen Dinge ihrer Familie zu erfahren, mit zu erleben. All die Gefühle die damit verbunden sind ängstigen sie.
Wieder taucht ein neues Zeichen auf.
XI das Zeichen für Westen begleitet sie zurück über den Ozean nach Europa. Es ist 1940 auch in Europa herrscht Krieg. In Frankreich sind die Deutschen einmarschiert. Auch hier gibt es Armut und Hunger. Laurence geht mit ihrem Sohn deshalb zu ihren Eltern aufs Land, in Sicherheit. Luci ist froh über diese Wendung und findet JIA das Zeichen für Familie wieder. 1945 ist der Krieg zu Ende, Yaotaos Witwe kehrt zurück in das Haus nach Lyon.
Dort steht ein großer wunderbarer Baum in ihrem Vorgarten.
Vielleicht noch ein Zeichen für Hoffnung und Neuanfang.
Allein mit Kind ist es für eine junge Frau auch nicht einfach doch Laurence schafft den Neuanfang. Eines Tages steht ein alter Freund vor der Tür. Er bringt Yaotaos Koffer, den er damals bei ihm zurück ließ.
Den Koffer, den Luci öffnete und sie so viele, viele Jahre später auf diese Reise mit nahm.
Doch damit ist unsere Geschichte noch nicht zu Ende.
Doch das muss jeder selber entdecken.
Ein Zeichen gibt es noch.
Sheng das Zeichen für Leben
*

Sandige Erdtöne von weichem Beige über gedecktes, warmes Gelb bis hin zu unterschiedlichen Brauntöne beherrschen dieses stimmungsvolle Buch. Diese Farbkombinationen machen es möglich andere Farben wie Rot ,Grün und Blau erst richtig zur Geltung zu kommen. Oft symbolisiert  Grün  das Wasser, Orangetöne die Berge. Urbane Einflüsse treffen auf Architektur und fließende Elemente auch im Pinsel und Druck verbinden das Leben der Bewohner in ihrer Beziehung zu den beiden Elementen. Während ihrer Recherchen zu diesem Buch sichtete sie auch Fotos mit Stadtansichten, architektonischen Bauwerken, die Stimmungen vermitteln die sie bewusst und sehr gekonnt in ihre Collagen einbindet um so dem Betrachter ein Gefühl für die Zeit und das Leben in dieser Zeit zu vermitteln.
Yi Meng Wu nutzt Farben und Formen um Akzente zu setzten, wichtiges zu visualisieren, einen Fokus zu setzten.
Sie vereint Collage mit Malerei und Druck. Hin und wieder sind  bereits erwähnte Fotos in bearbeiteter Form zu erkennen. So zum Beispiel Häuserzeilen aber auch der Bahnhof oder ein Panzer.
Für ihre Arbeiten nutzt sie  aber auch Buntstifte, Brush MarkerPinsel. Oft wirken die Zeichnungen gerade die der Personen etwas hart und kantig. Weiche runde Formen findet man wenig.  Das sie strukturiertem offenes Naturpapier benutzt erkennt man an der optischen Struktur, dass sich auch auf den Buchseiten wiederfindet. Eine Optik von handgeschöpftem feinkörnigem  Papier mit kleinen Farbsprenkeln.
Sie spielt  gekonnt zwischen Realismus und Fantasie. Ausdrucksstark und sehr besonders sind ihre Illustrationen, in die man sich nicht immer gleich so leicht hineinfindet. Das Auge hat viel zu tun um zu begreifen. Genau das macht den Reiz ihrer Bilder aus. Genau wie in der Geschichte finden wir auch in Yi Meng Wus Illustrationen den Kontrast zwischen Europa und Asien wieder. Wir erleben viel neues und einiges Bekanntes.
Es ist ein Buch, das man immer wieder in die Hand nimmt um sich in die Bilder hineinzudenken, sie zu erleben.
Trotz aller Kantigkeit hat jedes einen besonders Zauber, dem man sich als Betrachter nicht entziehen kann.
104 Seiten Leben in einem besonderen Mikrokosmus so kommt es mir zumindest vor.
Man taucht in eine bekannte und dennoch völlig unbekannte Welt ein.
*
In den letzten Tagen habe ich dieses Buch zu vielen Gelegenheiten mitgenommen. Auch wenn es nur ein Buch unter vielen war wurde es ganz offensichtlich viel häufiger in die Hand genommen als ein "normales" Bilderbuch und nicht nur von Erwachsenen.
Ich habe viele Gespräche mit Erwachsenen geführt.
Einige waren entsetzt wie ich das Buch Kindern "zumuten" könne, aber fragten ob man es Kindern zeigen könnte.
Denen die fragten ob man es Kindern zeigen könne antwortete ich:
" Was meinen sie? -Probieren sie es doch einfach mal aus!"

Denen die konsterniert sagten man könne es Kindern nicht zumuten entgegnete ich:
"Wieso nicht?"
Dann war erst einmal Stille. Nach dieser Stille kam entweder gar nichts und die Person ging oder es kam so etwas wie:" Das sieht alles so düster aus, so fremd und dann auch noch Krieg."
*
Müssen Bilderbücher immer nur harmonischer Einheitsbrei sein?
Was mich wirklich anbiedert sind die ewigen Star Wars und Disney Illustrationen. Doch gegen Star Wars , Ninjago und Co sagen diese Leute nichts. Da wird gekämpft, gemordet und allerlei mehr und alle die sich das ansehen finden es oky, das Kinder das mit ansehen.
*

Dieses Buch vermittelt ein Gefühl davon, wie man sich als Fremder fühlt.
In der heutigen Zeit in der wir täglich mit der Flüchtlingsfrage konfrontiert werden und es immer Leute gibt, die nicht gerade gastfreundlich sind finde ich es besonders wichtig, Bücher wie dieses zu haben um Kindern ein Gefühl für Fremde zu vermitteln. Sie sind empathische Wesen denen man gelenkt, betreut und im Gespräch diese Geschichte sehr gut erzählen kann, denn sie sind interessiert daran . Das habe ich in unseren Lesegruppen mit Kindern zwischen 5 und 14 Jahren immer wieder erlebt.
Wichtig ist das Buch selbst zuvor gelesen zu haben, es bei den Kindern vorher einzuführen und während des Vorlesens oder auch des Erzählens die Kinder genau zu beobachten, auf ihre Reaktionen, wenn nötig, einzugehen und die Kinder das Tempo bestimmen zu lassen.
Die Kinder möchten mit ihren Eindrücken nicht erst bis zum Ende der Geschichte warten. Eine sie reflektieren unmittelbar und man sollte nicht all zu viel Fragen offen lassen, wenn gleich es auch Fragen gibt auf die man mit "abwarten" reagieren wird, denn vieles beantwortet sich auch in der Fortsetzung der Geschichte von allein.
Bei unseren Betrachtungen gab es kein Kind das sich ängstigte. Alle waren fasziniert von Lucis Geschichte.
Im Anschluss an die Buchbetrachtungen haben wir mit den Kindern die Schriftzeichen nachgemalt und gebastelt. Die Zeichen hängen nun an unserem Geschichtenbaum und jeder der fragt was es mit den Zeichen auf sich hat findet eine Erklärung der einen Zugang zum Buch und seiner Geschichte liefert.
*

Ich hoffe wir werden noch häufiger solch wunderbaren Bilderbücher in die Hand bekommen.

Künstlerisch anspruchsvolle Bilderbücher mit ebenso besonderer Geschichte,
die Kinder wie Erwachsene gleichermaßen anspricht


Einen Blick ins Buch gibt es hier:


Hier noch etwas über die Bilderbuchmacherin, die Illustration und Text wunderbar ausgearbeitet hat und zu einen wirklichen Kunstwerk vereinte

"Geboren 1983 in Shanghai, wuchs Yi Meng Wu in China und Deutschland auf. Sie studierte Visuelle Kommunikation an der École nationale supérieure des Arts décoratifs Paris und diplomierte an der Universität der Künste Berlin.
In ihrem Berliner Designatelier „Studio Wu 無“ zeichnet, bastelt, schreibt und denkt sie mit analogen und digitalen Mitteln zum Thema „interkulturelle Gestaltung“. Von ihr gestaltete Buchprojekte wurden vielfach ausgezeichnet: u. a. mit dem German Design Award, den „schönsten Büchern Deutschlands“ und Joseph Binder Award Österreich.

Yaotaos Zeichen« ist eine auf historischen Tatsachen beruhende atmosphärische Zeitreise, die vom Ankommen in einer fremden Kultur erzählt. Yi Meng Wu ließ sich durch Recherchen im »Fonds Chinois« in Lyon zu ihrem bisher umfangreichsten Buchprojekt inspirieren.
Die Buchkünstlerin, die selbst in zwei Kulturen aufgewachsen ist, zeigt uns die aufwendig gestalteten Schauplätze in collagierten Bildern.
Bei den kunstanstiftern ist 2014 auch Wus vielfach ausgezeichnetes Buch »Paris Toujours« erschienen."

Quelle für Bild und Text : Kunstanstifter Verlag