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Marie und die Dinge des Lebens

Bildquelle: Bohem Press
Marie und die Dinge des Lebens
von Tine Mortier
und Kaatje Vermeire
32 Seiten
ISBN: 978-3-85581-542-5
14,95€


Ein wundervolles, warmes, gefühlvolles, poetisches und dennoch lebhaftes Buch über die Bedeutung von Großeltern , ein Buch das Generationen näher rücken- und tiefe Verbindung erleben lässt
für Kinder ab 5 Jahren

Dieses Buch in seiner gesamten Gestaltung verzaubert und nicht nur durch den wunderbar weichen Leineneinband mit tiefer Schriftprägung, das einen dazu verführt immer wieder über das Buch zu streicheln sondern auch durch die Illustration. Wir müssen schon ganz genau hinsehen um das Cover mit seiner Tiefe und der Detailreiche genau zu entdecken. Was auf den ersten Blick etwas unruhig erscheinen mag ist in Wirklichkeit eine ruhige und dennoch aktionsreihe, gemütliche Szene. Wie meistens bei Bohem besticht auch dieses Bilderbuch durch seine kunstvollen Illustrationen, die Geschichten auf sehr intensive Weise erzählen. Tine Mortier und Kaatje Vermeire ist es gelungen tief in die Beziehung eines Kindes zu seiner Großmutter einzudringen, auch etwas bedrückende Situationen einzufangen und dennoch keine Angst zu machen.
Es ist eine Geschichte von miteinander Erleben, sich freuen, die Welt entdecken, von Traurigkeit, Angst, Krankheit, Tod und Hoffnung, eine Geschichte intesiv wie das Leben nun mal ist, mit vielen unterwarten Wendungen.
Der Verlag spricht eine Alterempfehlung ab 3 Jahren aus, das finde ich deutlich zu früh. Nicht nur das die Kleinen die Bilder noch gar nicht in ihrer voller Schönheit richtig entdecken können, weil es zuweilen ein sehr genaues Hinschauen erfordert um etwas wahrzunehen sondern auch auf Grund der Geschichte bzw. des Handlungsverlaufes.
Marie ist etwas ganz besonderes. Sie wurde unter einem Kirschbaum geboren. Ein ungewöhnlicher und dennoch ganz wundervoller Ort für die ersten Lebensmomente der das Leben der Kleinen prägte. Die Verbindung zu diesem Kirschbaum, mit ihren darin Lebenden Tieren, ist ganz besonders. Er ist Teil ihres Lebens in dem es immer etwas zu entdecken gibt. Es scheint als gäbe es Stillstand in Maries Leben nicht wirklich. Was sie möchte, will sie sofort. Ihre Großmutter ist ihre beste Freundin, die den Entdecker- und Bewegungsdrang ihrer kleinen Enkelin nicht nur versteht sondern auch teilt. Sie schaukeln gemeinsam gen Himmel, tanzen durch Blumenfelder, erzählen sich Geschichten und sind immer füreinander da. Dieses so wundervolle Verhältnis der beiden erlebt der Betrachter  in poetischen Illustrationen mit warmen Rosarot Tönen, die trotz Dynamik ruhig machen und zum Verweilen einladen. Doch dann blättern wir um und werden von einer grauen Welt eingefangen. Marie sitzt mit ihrem Großpapa unter Bäumen auf einer Bank. Die geliebte Großmutter liegt im Krankenhaus in einem tiefen Schlaf. Die Erwachsenen sagen sie sei gestolpert doch das glaubt Marie nicht.
Nein, die geliebte Großmutter stirbt nicht, doch ist sie auch nicht mehr die Selbe wie früher. Sie muss im Rollstuhl sitzen,  spricht nicht. Marie scheint das zunächst nicht zu stören. Mit einer Selbstverständlichkeit versucht sie zu ihr zu dringen, was Anfangs nicht zu gelingen scheint. Eindrucksvoll beschreibt Tine Mortier die innere Auseinandersetzung der kleinen Marie mit der Situation. Nicht verstehen, nicht akzeptieren, Wut, sogar intensive Wut aus der heraus sie bewusst gegen das Bett der Großmutter tritt und in Kauf nimmt, das es der Großmama weh tun könnte bis hin zu der Suche nach einem Ausweg erleben wir als Zuhörer und Leser fast so tief mit wie Marie, die nicht aufhört zu versuchen ihre geliebte Oma wieder in ihr Leben zurück zu holen. Und so werden die Bilder auch nach und nach wieder heller, fröhlicher und hoffnungsvoller. Fast schon würde ich sagen es wird wild. Was Marie macht um ihre Goßmama ins Leben zurück zu holen verrate ich hier nicht aber ich verrate nicht zu viel wenn ich sage es hilft. Es sind kleine Erfolgserlebnisse die wir miterleben dürfen. Kleine Schritte, die nur Marie wahrnimmt denn sie versteht, im Gegensatz zu den Erwachsenen, ihre Oma. Auch hier gelingt es der Autorin  wieder ganz wundervoll, uns Maries innere Auseinandersetzung mit der Erwachsenenwelt, erleben zu lassen. Wie dumm die Großen doch sind. Sie verstehen nicht, deuten falsch. Marie hingegen liest in den Augen der Großmutter und "pflückt ihr die Buchstaben aus dem Mund", so heißt es in der Geschichte, und beschreibt so ganz wunderbar sowohl die Versuche der Großmutter zu sprechen als auch Maries "Zuhören" und Verstehen.
ja, hier könnte die Geschichte nun zu Ende sein, doch das ist nicht das Ende. Das Leben ist nicht immer leicht, nicht immer fair sagen viele, und so passiert eines Tages etwas womit niemand, auch wir Erwachsene, nicht gerechnet hätten. Das Schicksal schlägt ein zweites Mal zu. Marie und ihre Mutter finden den Opa tod im Lehnstuhl sitzen. Den Tod nicht als bedrückendes Monster erscheinen zu lassen sondern Teil des Lebens, das gelingt Tine Mortier mit ihrer sehr realen und dann doch wieder feinen poetischen Schilderung der Dinge, die mit dem Tod einher gehen, fantastisch. Sie schildert das Auffinden, die Gedanken die Traurigkeit der Mutter und besonders die der Großmutter mit einer empfundenen Selbstverständlichkeit, die  sich irgendwie trotz der Schwere leicht anfühlt. Gerade die Verbindung von Realem mit Poesie schafft es, das wir Leser nicht erdrückt werden sondern auf einer Welle des Lebens einfach mit getragen werden. Die Traurigkeit in der wir viel weinen ist sehr real die Autorin lässt die Tränen zu einem Meer der Tränen werden und das greift die Illustratorin Kaatje Vermeire genial auf. Ein helles Bild in blaugrau Tönen auf dem wir ein kleines Boot sehen in dem Marie mit, ihrem stets rot getupften Kleid und der Großmutter sitzt ,die einen großen Teddy umarmt ist ein Bild, dass wir sehr intensiv und bewusst erleben. Es erdrückt uns nicht, es macht ruhig, vielleicht etwas melancholisch aber es hat auch etwas witziges. Das klingt jetzt vielleicht nicht so passend ist aber nunmal so denn Kaatje Vermeire hat in das Bild ein kleines Papierschiffchen hineingezeichnet auf dem das kleine Eichhörnchen, das uns die ganze Geschichte über schon begleitet hat, sitzt. Es  scheint in etwas Entfernung durch eine wirr verlaufende Schnurr dann doch mit dem Boot verbunden zu sein.  Das Meer der Tränen verabschiedet sich aus dem Krankenzimmer, die Großmutter möchte ihren Mann noch einmal sehen. Trotz bedenken der Ärzte, die in der doppelseitigen Illustration wie eine Mauer Spalier stehen fährt Marie ihre Oma im Rollstuhl an dieser Mauer vorbei. Tine Mortier erzählt von einem Zaun über den Marie mit der Oma klettert muss.
Als die beiden am offenen Sarg des Großvaters stehen kehrt eine unglaubliche Ruhe ein, die die Autorin ein weiteres Mal fantastisch beschreibt. Und auch die Illustratorin schafft es aus dieser ,vielleicht für viele bedrückenden, Situation eine ganz besondere poetische, fast schon leichte, Stimmung herauszulocken, die bei allem Abschied, bei aller Traurigkeit mehr Hoffnung, mehr Zuversicht vermittelt als traurig zu sein. Ein leiser Abschied in dem plötzlich die Stimme der Oma erklingt. Nur ein Wort "Keks" kommt über ihre Lippen. Ein Wort das viel bedeutet, aber das wird nur der verstehen der die ganze Geschichte kennt.
Selten hat uns ein Bilderbuch so tief mitgenommen auf eine so besondere Reise.
Der ein oder andere wird nach der Schilderung der Geschichte nun denken, dass kann ich doch nicht mit Kindern lesen.
Doch, man kann, man sollte es sogar denn die Geschichte der kleinen Marie und ihrer Großmutter ist bei aller Poesie, die sowohl in der Geschichte als auch den Bildern zu erleben ist, eine Geschichte, die das Leben schreibt und sehr real ist. Dabei wird der Fokus auf die kindliche Empfindung, die innere Auseinandersetzung der Kleinen, mit dem oft schweren zu verstehendem und schwer zu akzeptierendem Geschehen gelegt.
Das was in Marie vorgeht, könnte bei Kindern in ähnlichen Situationen, genau so erlebt werden. Die Verbindung unserer Kinder mit der Generation der Großeltern aber auch Urgroßeltern ist oft geprägt von tiefer Zuneigung. Großeltern sind besondere Bezugspersonen und auch wenn Eltern vielleicht zuweilen mit Eifersucht auf dieses Verhältnis schauen, es ist unglaublich wichtig für die kindliche Entwicklung. Es ist aber auch so, dass diese ältere Generation krank werden und sogar sterben kann. Situationen, die uns oft ganz plötzlich treffen und da ist es gut, wenn die Kinder nicht so ganz unvorbereitet sind. Dieses Buch vermittelt mit seiner Vielschichtigkeit einen tiefen und intensiven Einblick in das was auf jeden von uns einmal zukommen kann. Das man trauig, wütend und hilflos sein darf vermittelt die Geschichte genauso wie den Umgang damit und das ein scheinbares Ende nicht unbedingt ein wirkliches Ende ist.
Wie zu Beginn schon einmal erwähnt sehe ich das Buch nicht als ein Buch für Kinder ab 3 Jahren. In dem Alter sind sie einfach noch nicht in der Lage die Situationen richtig einzuordnen, zu verstehen und auch nicht die Bilder wirklich zu erleben. Meine Erfahrungen bei Lesestunden zeigten, dass es ein wundervolles Buch für Kinder ab 5 Jahren ist und auch im Grundschulunterricht sehr berreichernd ist.
Ab 5 Jahren ist wundervoll zu erleben, wie sich die Kinder mit den kunstvollen Illustrationen, den einzelnen Darstellungen, Wirkungen und Interpretationen/ bzw. Umsetzungen der Geschichte in Bildern, auseinandersetzten und hineinversetzten und dabei vieles entdecken was unser, oft oberflächliches, Erwachseneauge noch gar nicht gesehen hat. Gleichzeitig kann das ein oder andere Kind mit bereits gemachten Erfahrungen an die Geschichte anknüpfen und bei Gesprächen in der Gruppe sehr bereichernd eigenes erzählen. Das alles können Kinder im Alter von 3 Jahren einfach noch nicht. 
Was nicht heißt, dass man Kinder unter 5 Jahren nicht mit dem Thema Krankheit/Tod in Berührung bringen sollte, doch dafür gibt es andere Titel.
Schaut doch einmal auf meine Themenliste "Tod im Bilderbuch" da findet ihr zahlreiche Bilderbücher für die untrschiedlichsten Altersstufen.