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Das Vorlesebuch für Draufgänger und Träumer

Bildquelle: Gabriel Verlag
Das Vorlesebuch
für Draufgänger und Träumer
von  Martina Baumbach,
Jan-Uwe Rogge und
Barbara Korthues
112 Seiten
1. Aufl. 2017
Gabriel Verlag
Thienemann/Esslinger
ISBN: 978-3-522-30484-9
14,99€


"Ob impulsiv, verträumt, vergesslich, zappelig, schüchtern oder chaotisch – hier findet sich für jedes Kind die passende Geschichte."( Darstellung des Verlages)


Ein lustiges Cover voller Lebensfreude, so wie Kinder normalerweise zu erleben sind.
Als ich vor einigen Monaten die Vorankündigung zu diesem Buch laß wurde es mit dem Vermerk für AD(H)S Kinder beworben, was mich, als Sozialpädagogin, neugierig machte.
Nun habe ich das Buch in den Händen und nichts deutet darauf hin, das es sich um Geschichten handelt, die besonders für diese Zielgruppe gut einsetzbar sind.
Einzig und allein, den Kennern der Szene bekannt, der Name Jan-Uwe Rogge, der als Autor zahlreicher Erziehungsratgeber aber auch als Kolumnist bekannt ist, lässt vermuten, das die Geschichten mit Bedacht und Hintergedanken entstanden und zusammengestellt sind.
Weder vorne noch hinten auf dem Cover ist irgend ein Hinweis darauf.
Schade, denn es würde vielleicht mehr Menschen anregen das Buch zu kaufen. Vielleicht hatte der Verlag aber auch Sorge, dass es dann zu sehr instrumentalisiert wird und andere, die "nur" ein normales Vorlesebuch suchen abgeschreckt werden.
Grundsätzlich ist es, um es vor weg zu nehmen, ein wirklich schönes Vorlesebuch mit 12 kleinen Vorlesegeschichten zur Ich-Stärkung und einem ausführlichem 15 seitigem Nachwort von Jan-Uwe Rogge sowie einer Adressenliste von Beratungsstellen.
Spätestens beim Wort Beratungsstellen werden dann viele hellhörig werden.
Hier finden wir:
"Hilfreiche Adressen für Eltern in Deutschland, Österreich und der Schweiz"
Die Liste  beinhaltet  unter anderem Anschriften zu ADHS Beratungsstellen.
Schade, dass man  nicht vorne oder zumindest in der kurzen Inhaltsangabe  etwas zum ADHS erwähnt hat.
Das ist aber auch wirklich der einzige Kritikpunkt an diesem Buch.
Bei Amazon übrigens wird in der Inhaltsangabe ADHS sofort zu Beginn thematisiert!
Die Erklärung hier ist genau das, was ich auf dem Buch oder zumindest als Einführung erwartet hätte.

Da wenig über die Intention bekannt ist möchte ich hier einmal erklären wieso die Geschichten gerade für Kinder mit ADHS so wichtig sein können. Immer mit der Anmerkung, das grundsätzlich alle Kinder gestärkt werden durch die Geschichten.
Kinder mit ADHS gelten oft als aufsässig, problematisch, werden als störend von ihrer Umwelt wahrgenommen. Sie werden durch ihr oft auffälliges, aneckendes Verhalten häufiger gemaßregelt, mit mehr Regeln und mehr Konsequenz belegt / erzogen. Sicherlich brauchen solche Kinder festere starrere Grundgerüste im Bereich der Erziehung, die ihnen ja auch Halt geben aber die häufig auftretenden Konflikte, die dazu führen, das ein Kind schnell als "Unruhestifter" in eine Ecke gedrängt wird aus der er so schnell nicht mehr heraus kommt führt nicht selten zu einer Isolation. Was gerade ADHS Kinder besonders gut können, ihre Stärken, werden da oftmals nicht beachtet, dabei sind viele unglaublich clever, neugierig und  phantasievoll, so dass sie gepaart mit viel Kreativität Dinge erschaffen an die wir "Normalos" niemals auch nur ansatzweise gedacht hätten oder sie sehen Zusammenhänge in der Welt , auf die wir nie gekommen wären.
Das ist bei Autisten z.B. noch ein Stück weit faszinierender zu beobachten.
ADHS Kinder sind meist unruhiger, zappeliger aber eben auch oftmals genialer.

Bei aller Genialität leiden sie jedoch häufig unter Abstempelung und Ausgrenzung. Daher sind Geschichten wie diese 12 hier im Buch besonders wichtig für sie .Sie orientieren sich an dieser besonderen Gedankenwelt , spiegeln ihre Alltags - und Erlebniswelt wider, so dass sich die Zuhörer mit ihnen identifizieren können, sich wiederfinden. Es sind humorvolle, empathische Geschichten die ein positives Selbstwertgefühl vermitteln und so dem Zuhörer ein Gefühl dafür vermitteln, das sie mit all ihren Ecken und Kanten gut sind, so wie sie sind, denn das bekommen die betroffenen Kinder in der Regel wenig zu hören.
*
Für Kinder und Eltern ohne solche, durchaus Empathie fähigen "Sonderlinge", (und ich darf das so sagen denn ich habe ein ADHS Kind und ein autistischen Kind zuhause und weiß wovon ich rede) sind die Geschichten aber genauso wichtig, denn für jedes Kind ist es wichtig das Gefühl zu bekommen gut zu sein so wie man ist. Gerade Kinder von hyper Eltern leiden unter emensem Erwartungsdruck, den sie , gefühlt, nie gerecht werden können und auch real die übersteigerten Erwartungen der Erwachsenen nicht erfüllen können ohne dabei seelischen Schade zu erleiden.
Für jeden Menschen, egal ob jung oder alt, ist es schön zu hören, "Ich mag dich so wie du bist!" und dazu sollen diese Geschichten beitragen.
Ich hoffe nur, dass die Erwachsenen beim Vorlesen  auch etwas daraus mit nehmen und sich Gedanken machen.
*
Welche Geschichten dürfen wir in diesem Buch erwarten?
Es beginnt mit 
"Elias und der geheime Löwe"
in dem ein Thema aufgegriffen wird, das jeder kennt. Da hat man gelernt und gelernt, konnte alles und wenn man dran kommt ist alles weg.
Auch wenn die Lehrerin Elias beruhigt und meint am nächsten Tag sei bestimmt alles besser ist das für ihn kein Trost denn Elias weiß genau, dass nichts besser sein wird.
Doch als er am nächsten Tag aufsteht ist alles anders. Ein seltsames anderes Gefühl, so als wenn unsichtbar jemand neben ihm steht verleiht ihm Stärke.
Wer ihn da stärkt und was Elias dann noch so alles erlebt das erzählt diese erste wunderbare Geschichte.

Es folgen Geschichten wie
"Echte Monster machen das nicht!"
"Die Letzten auf dem Spielplatz"
"Als Luzie einmal überall verstreut war"
"Ein fast normaler Sonntag"
"Wumm-Dumm-Dumm-Tschack"
und
"Kolja ist ein Profi"

"Drachen haben doch keinen Anschnaller"
Erzählt von Mathilda, die gerne träumt und gern allein ist.
Auch im Kindergarten. Am liebsten wäre sie in der Kuschelecke, eingekuschelt zum träumen doch dort dürfen alle Kinder hin. Anders als zuhause, wo sie ihre Kuschelecke und ihre Kuscheldecke mit niemandem teilen muss und selbst entscheiden kann ob sie ihre Familie um sich haben möchte.
Die anderen Kinder suchen immer wieder den Kontakt zu ihr möchten mit ihr spielen. Sie möchten in Mathildas Spiel mit einsteigen oder sie laden sie ein ihre Spiele mit zu spielen, doch Mathilda ist wirklich lieber für sich. Die Fragen der anderen erlebt sie wie aus einer Wolke weit weg. Aber immer "Nein" sagen kann sie auch nicht und so kommt dann oft ein halbherziges "Na, gut " oder " von mir aus" aus ihrem Mund. Während die anderen mit Ponys spielen träumt sie schon wieder von Adelon dem Silberdrachen auf dem sie durch die Welt fliegt.
Was Mathilda noch so alles erlebt und wie sie es erlebt davon handelt die Geschichte, die viel über die Gefühlswelt von "Träumern" vermittelt und uns Außenstehende nachdenken lässt. Wenn wir beim nächsten  Mal auf solch ein "Träumerle" treffen sehen wir diese Kinder vielleicht mit etwas anderen Augen.

Was erwartet uns sonst noch so?

"Als Nahil auf den Kirschbaum flog"
"Lenni Tierflüsterer"
"Insgeheim ist Sammy ein Chamäleon"
und
"Ein Ferkel auf dem Sofa"

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Das Nachwort von Jan-Uwe Rogge beginnt mit dem Bezug auf die Geschichte von
"Kolja ist ein Profi"
in dem Tante Milla ihm erklärt, das er einzigartig ist.
Für Jan-Uwe Rogge ist die Einzigartigkeit eine klare Botschaft, die wir unseren Kindern vermitteln müssen um sie stark zu machen. Stark zu machen bedeutet nicht ihr Ego so aufzupuschen, dass sie meinen sie dürften alles aber es bedeutet ihnen ein Bewusstsein zu vermitteln, das jeder Mensch einzigartig und besonders ist, auch das Kind das gerade angesprochen wird.
Wunderbar und sehr treffend zitiert er das indische Sprichwort:
"Zum Klatschen gehören zwei Hände" ( Seite 95) das er auf die Erziehung überträgt und vermitteln möchte, dass im Leben  nicht alles planbar ist.
Die Herleitung sollte jeder selbst lesen.
In seinem Nachwort geht er dabei auch auf neurologische und genetische Aspekte ein auf ADHS, Sprachstörungen, Verhalten von Kindern und Eltern, auf die Kinder, die häufig, wie er es nennt "verkannt" werden,
 auf typische Verhaltensweisen schüchterner Kinder, auf Lese-Rechtschreib-Schwäche. Körperbewusstsein, Wahrnehmungsstörungen,
Sicherheit und verlässliches Verhalten, "Halt geben", und  auf Lehrer. Wobei er sagt, dass es drei Lehrertypen gibt.
Besonders schön auch seine Erklärung "Geduldig wie ein Gärtner". Damit trifft er genau das Problem. Was genau er damit sagen möchte muss jeder selber lesen. Ich möchte hier nur neugierig auf das Buch machen.
Es sind 15 Seiten voller Informationen, Gedanken und Erklärungen, die genauso aussagen stark sind wie manch ein Buch mit 200 Seiten.

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Ein tolles Buch, auf das wir lange gewartet haben!

Übrigens demnächst wird es die Geschichten auch als Hörbuch geben. ( 06.10.2017)
Mit musikalischer Untermalung durch den Pädagogen und Musiker Reinhard Horn, den sicherlich viele von seinen zahlreichen Kinder CD;s her kennen und dessen Sohn Herr H. bei den Kindergartenkindern mittlerweile seinem Vater den Rang abläuft.
Reinhard Horm hat auch das Titellied zum Hörbuch geliefert.
Als Pädagoge weiß er genau wie Musik einzusetzen ist um Kindern in eine bestimmte Grundstimmung, auch beim Zuhören von Geschichten, zu versetzten.