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Ein Fuchs namens Henry

Bildquelle: Carlsen Verlag
Ein Fuchs (Hase)namens Henry
von Margaret Sturton
übersetzt von Sabine Ludwig
32 Seiten
1. Aufl. Januar 2021
ISBN: 978-3-551-51994-8
Carlsen Verlag
13,00€


Eine Geschichte über eine recht intolerante Mutter die einsieht, dass es völlig egal ist wie jemand ist
Eine Geschichte über das Gefühl im falschen Körper zu stecken
zum Thema Vielfalt und Ich-Stärkung, 
für Kinder ab 3 Jahren
Die Welt ist bunt wenn wir sie bunt machen und bereit sind jeden so zu akzeptieren wie er ist. Dies ist kurz zusammengefasst die Botschaft dieser Geschichte, hinter der so viel mehr steckt, denn es macht einen großen Unterschied, wer einen nicht mag so wie man ist oder sein mag.
Wenn Eltern ihrem Kind sagen: "du darfst nicht so sein", "du darfst nicht so sein wie du willst" dann wiegt das noch mal schwerer als wenn es jemand fremdes sagen würde.
Henry ist ein Hase, der auf dem Schulhof die Füchse bewundert. Er bewundert sie so sehr, das er auch ein Fuchs sein möchte. Er bastelt sich rote Ohren, die sind zwar nicht so groß wie die der Füchse, für Henry aber ein erster Schritt so zu sein wie er sein möchte, nämlich ein Fuchs. Doch seine Mutter findet das gar nicht toll, lacht sogar weil Fuchsohren nun mal größer sind als die kleinen gebastelten Ohren. Traurig nimmt Henry die Ohren wieder ab, seinen Plan ein Fuchs zu sein gibt er aber nicht auf. Am nächsten Tag malt er sich rot an und seine Schwester hilft ihm sogar dabei. Anschließend spielen sie "Finde-den-Fuchs" und dabei geht es hoch her. Wie das nun mal so ist wenn Kinder in der Wohnung ausgelassen spielen. Als die Mutter das Chaos entdeckt ist sie verständlicher Weise nicht erfreut. Jeder würde verstehen wenn sie schimpft, doch sie macht das Chaos an etwas anderem fest. Sie gibt die Schuld an allem Henry mit seiner, in ihren Augen, verrückten Idee ein Fuchs sein zu wollen und fordert von ihm ein, dass er ihr versprechen muss fortan "ein richtiger Hase zu sein." Henry hilft das Chaos aufzuräumen, ob er seiner Mutter verspricht künftig ein "richtiger" Hase zu sein, erfahren wir Leser nicht, doch ein paar Tage später bastelt sich Henry einen großen roten Fuchsschwanz und spielt danach wieder ausgelassen mit seiner Schwester "Fang-den-Fuchs". Das allein wäre bestimmt noch nicht so schlimm, doch dafür zerschneidet er ein Kleid der Mutter, vermutlich nicht wissend was er da wirklich tut und das es auch noch das Lieblingskleid der Mutter ist. Und wieder können wir alle verstehen, dass die Mutter sehr traurig und auch sauer darüber ist. Was wir jedoch nicht so richtig verstehen, ist dass sie Henry wieder auffordert ihr zu versprechen "ein richtiger Hase zu sein". Wieder ist Henry sehr traurig. Es tut ihm leid, das Kleid der Mutter zerstört zu haben, möchte aber immer noch ein Fuchs sein. Das seine Mutter dies nicht akzeptiert macht ihn genauso traurig. Nicht richtig zu sein, und dies immer wieder gesagt zu bekommen, macht ihn traurig. Wie viel es ihm bedeutet ein Fuchs sein zu wollen können sich meine Lesekinder sehr gut vorstellen. Als Henry ein paar Tage später draußen spielen darf, malt er sich wieder rot an, holt seine gebastelten roten Ohren und den Fuchsschwanz aus der Mülltonne und fühlt sich in seinem "Fuchskörper" richtig wohl. Er spielt ausgelassen mit den anderen Füchsen und nicht nur wir Leser sehen wie glücklich er dabei ist. Wenn ich sagen, dass nicht nur wir sehen wie glücklich Henry ist, dann meine ich, das ausgerechnet dort wo Henry mit seinen Fuchsfreunden spielt, seine Schwester mit der Mutter vorbei kommt. Die Mutter ist erbost, zitiert Henry sofort zu sich. Dieses Mal können meine Lesekinder die Reaktion der Mutter überhaupt nicht verstehen. Henry hat doch nichts schlimmes gemacht. Und wieder ist es die Mutter, die ihn anklagt. "Warum benimmst du dich so?" "Du hast mir doch versprochen......" Ob Henry wirklich versprochen hat "ein richtiger Hase zu sein", wissen wir nicht. Die Kinder vermuten, dass er es vielleicht nur versprochen hat um des lieben Frieden willen, aber nicht von Herzen.
Dieses Mal jedoch verspricht er nichts. Er erklärt seiner Mutter, das er kein richtiger Hase sein kann und dann brüllt er heraus:
"ICH BIN EIN FUCHS!"

Und diese energische aber durchaus verzweifelte Statement erreicht die Mutter. Nach einem ersten Schockmoment begreift sie was wichtig ist.
Sie nimmt ihn in den Arm und sagt:
"Du bist mein allerliebster Fuchs!"
Es hat lange gedauert bis die Mutter eingesehen hat, das es völlig egal ist ob ihr Kind Hase oder Fuchs ist, sondern die Gefühle das Leben bestimmen.
Sie liebt ihren wunderbaren Henry, so wie er ist.
Ganz gleich ob Hase oder Fuchs, doch bis dahin war es ein langer und schmerzhafter Weg. Schmerzhaft nicht nur für Henry, der die Enttäuschung der Mutter permanent spürte, da sind sich die Kinder ziemlich sicher, denn auch die Mutter war traurig, nur das ihre Traurigkeit von ihr selbst ausging, weil sie nicht bereit war, über den Tellerrand zu schauen.
"Das Leben ist bunt und vielfältig!"
Jeder sollte so leben dürfen wie er möchte.
Jeder sollte in der Haut leben können und akzeptiert werden, in der er sich wohl fühlt.
Für meine Lesekinder im Alter zwischen 4 und 6 Jahren heißt das erst einmal, dass jeder so sein darf wie er ist. Das ein Junge mit Puppen spielen, oder rosa Sachen anziehen darf wenn es ihm gefällt genauso wie Mädchen Fußball spielen oder lieber mit Werkzeug hantieren, als typische Mädchendinge zu machen.
Für die älteren Kinder ab 6 Jahren bedeutete es noch etwas mehr. Sie wissen, dass es Männer gibt, die lieber eine Frau wären und Frauen, die lieber Männer wären, sie wissen, dass es manchen Männern einfach nur Spaß macht Frauenkleidung zu tragen und das erste was in der Gesprächsrunde thematisiert wurde war, dass es doch ungerecht ist, dass es völlig oky ist, das Frauen Hosen tragen und die Frauen mehr Hosen als Kleider tragen aber Männer immer nur Hosen anziehen "können". Wenn Männer Kleider, oder Röcke tragen sollte das doch genauso normal sein, als wenn Frauen Hosen tragen.
Unbedingt erwähnen möchte ich zum Schluss auch noch die Rolle der Schwester, die Henry immer zur Seite steht. Sie hilft ihm so sein zu können wie er sein mag. Sie hilft ihm beim Bemalen, schaut ihm beim Basteln zu, spielt mit ihm. Sie zeigt ihm deutlich, das sie ihn so mag wie er ist und so stärkt sie ihn, auf ihre Weise. Mehr noch, sie versucht auch zu vermitteln, versucht der Mutter zu zeigen, wie glücklich Henry als Fuchs ist, auch wenn es bei der Mutter nicht ankommt.
Diese Geschichte zeigt einmal mehr, dass wir in Schubladen und mit Normen denken, die absolut keinen Sinn machen. Wie sehr Henry leidet, nicht so sein zu dürfen, wie er mag, das spüren wir sehr, sehr deutlich durch die wundervollen, sehr ausdrucksstarken Illustrationen, die ganz viel vermitteln, was in der Geschichte nicht Inhalt ist aber sehr wichtig ist um die Handlung vollständig zu erfassen. Bild und Text gehören zusammen, sind verwoben und haben beide ganz wichtige Parts bei der Vermittlung.
Ohne die Zeichnungen gäbe die Geschichte keinen Sinn und ohne sie würden wir nicht realisieren wie Henry sich fühlt.
Die Mimik und Gestik sind ganz wichtige Elemente zur Vermittlung der Gefühle und Situationen, sie sind einfach und auf das wesentliche beschränkt. 
Besonders die Körperhaltung ist vielsagend und sehr intensiv. Hier spüren wir die Stärke genauso wie der Niedergeschlagenheit, das Erboste genauso wie die Verzweiflung. Die Traurigkeit wirkt schwer auf uns. Wir können Henry verstehen und bei vielen der Lese-Kinder ist es so, als würden sie mit Henry empfinden. Sie haben das Gefühl, dass ihre Schultern und der Kopf schwer sind und das nur durch das Zusammenspiel von Geschichte und Bild.
Fokussierend ohne das unmittelbare Drumherum zu vernachlässigen. Besonders beeindruckend fanden die Kinder, Henrys "Wut" Ausbruch. "ICH BIN EIN FUCHS!" ein Satz, ein Statement groß platziert auf einer ganzen Buchseite, dazu auf der anderen Hälfte der Doppelseite Henry. Eine einfache Zeichnung mit so unglaublich viel Kraft und Energie. Mit einer Bestimmtheit, die ihn ganz groß werden lässt.
Bild und erzählende Geschichte sind hier eine Einheit, wie es besser in einem Bilderbuch nicht sein könnte. 
Ein tolles Bilderbuch, das bei aller schwere in der Thematik trotzdem ein fröhliches Buch ist und das nicht nur wegen dem Happy End.