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Mamas Schal

Bildquelle: Minedition
Mamas Schal
von Joana Dürnberg
40 Seiten
1. Aufl. März 2024
ISBN: 978-3-03934-056-9
Minedition
18,00€
Auf euch wartet ein leises, gefühlvolles und sehr hoffnungsvolles Bilderbuch
 zum Thema Tod
Tod der Mutter
Ein Buch das Trost spendet und einen Weg aufzeigt Trauer zu bewältigen, in dem Erinnerungen lebendig gehalten werden
für Kinder ab 4-5 Jahren

"Es sollte verboten sein, dass Mamas sterben" (Zitat),
sagt der kleine Otis in dieser Geschichte, und da können wir ihm wohl alle zustimmen. "Es sollte verboten sein, dass Mamas sterben". Es sollte verboten sein, dass Papas sterben.
Und dennoch geschieht es immer und immer wieder, und leider gar nicht mal so selten.
Wenn ein sehr alter Mensch stirbt, sind wir meist versöhnlich, sagen dass er/sie ja ein langes Leben hatte und das tröstet.
Doch wenn ein junger Mensch stirbt, wenn Eltern junger Kinder sterben, empfinden wir ganz anders. Ein Kind braucht doch seine Mama und seinen Papa. "Es sollte verboten sein, dass Mamas sterben", sagt Otis. Dieser eine Satz ist so voller Emotionen, so intensiv, er spricht Betroffenen aus der Seele und findet Worte, wo viele keine Worte finden, sondern einfach nur unendliche Traurigkeit und Einsamkeit fühlen.

Otis Mama ist gestorben.
Mit wenigen, aber sehr intensiven Worten und unglaublich ausdrucksstarken Bildern erzählt Joana Dürnberg seine Geschichte, die damit beginnt, dass wir ihn allein am Tisch in der Küche sitzen sehen. Sein Papa macht das Essen. Der Stuhl, an dem die Mama beim Frühstück immer saß, ist leer. Joana Dürnberg hat ihn zusätzlich auch optisch etwas weggerückt, um die Wirkung des leeren Stuhls zu verstärken.
Auf der rechten Hälfte der Doppelseite sehen wir Otis am Tisch, dahinter der Vater, der Stuhl der Mutter ist auf der linken Seite. Ganz allein, nur zwei Zeilen Text weit oben im Bild brechen es etwas auf. 
Otis kann gerade einmal über die Tischplatte schauen. Er wirkt so klein und verletzlich. Seine Traurigkeit ist ihm deutlich anzusehen. Es ist ein absolut sprechendes Bild. Ein Bild, so sagen die Kinder, dass man nicht einfach umblättern will, weil man Otis nicht allein lassen möchte. Und dennoch sind wir ja neugierig auf seine Geschichte, also blättern wir um und treffen ihn wieder. Er steht im Flur, schaut auf die Garderobe, an der noch der Schal der Mutter hängt. Der Schal ist warm und weich, er riecht nach ihr.
Am Abend schaut Otis mit seinem Papa aus dem Fenster.
"Wo ist Mama jetzt?" (Zitat), fragt er. Gemeinsam überlegen sie, wo sie sein könnte, was Joana Dürnberger jeweils in einer eigenen Doppelseite pro Gedanken, festhält. Mit ihren Überlegungen erinnern und denken Otis und sein Papa an sie. Sie ist gern ins Museum gegangen. Sie wollte immer mal nach Pisa und beim Schiefen Turm ein Eis essen. Sie wollte gern mal.... und ........ Mit jedem Gedanken kehren immer mehr Lebendigkeit und Leichtigkeit in die Geschichte ein, die uns auch mal schmunzeln lassen. 
Doch es treten auch neue Fragen auf. "Was, wenn wir vergessen, wie sie aussah?" (Zitat) Aber das wird nicht passieren, denn Otis Papa hat eine tolle Idee. Sie gestalten gemeinsam eine große Erinnerungswand mit Fotos und Bildern, die Otis malt. Und als Otis Ferien hat fahren sie an den Ort, an dem die Mutter so gern einmal Eis essen wollte. Otis und sein Papa haben einen Weg gefunden mit dem Verlust zu leben. Durch die Erinnerungswand ist die Mama stets sichtbar bei ihnen. Durch die Erinnerungswand erinnern sie sich an bestimmte Momente, die vielleicht weitere Erinnerungen lebendig werden lassen und sie reisen an Orte, die sie eigentlich gemeinsam entdecken wollten. Otis begreift, die Erinnerungen bleiben für immer und so ist die Mama immer bei und mit ihm, genauso wie auf den vielen Fotos.

Joana Dürnbergs sprechenden Bilder sind wundervoll klar, mal fokussierend, mal auch in die Ferne schweifend und wenn man genau hinschaut, ist selbst im kleinsten Bildteil der rot-orangene Wollschal der Mutter zu entdecken. Erst umhüllt er Otis, dann Otis und seinen Papa, was ein beschützendes, behütendes Gefühl beim Leser verspüren lässt. Später entdecken wir, wenn wir genau hinschauen auch in den Bildern, die die Vorstellungen von Vater und Sohn visualisieren. Da sehen wir in der Menschenmenge eine Frau, die wir nur von hinten sehen, aber den Schal trägt, und sofort ist klar, das ist Otis Mama. Auf der Erinnerungswand ist er oft zu sehen und ansonsten trägt ihn entweder Otis, oder sein Papa, oder er umhüllt beide.
Der Schal ist die Verbindung zur Mutter. Und auch wenn er mit der Zeit nicht mehr so intensiv nach ihr duftet, mit ihm ist die Mama ganz nah bei ihnen. Ein Trost-Schal, der Geborgenheit und Nähe gibt.
Joana Dürnberg hat hier ein Bilderbuch geschaffen, in dem sich betroffene Kinder wiederfinden und verstanden fühlen können, dass ihnen aber auch Inspiration liefert, wie sie mit ihrer Trauer umgehen und sie bewältigen können. Gerade das Gestalten einer Erinnerungswand ist für viele Kinder (aber auch Erwachsene) eine große Hilfe. Das Gestalten, der kreative Prozess an sich einhergehend mit den Gedanken und Erinnerungen, die dabei aufkommen sind schon die ersten wichtigen Schritte der Trauerarbeit, in der viele Emotionen aufkommen und gleichzeitig die Leichtigkeit spürbar ist. Mit jedem Schritt wird es leichter und meist finden die Betroffen in diesem Prozess ihren ganz eigenen Weg mit der Trauer, mit dem Verlust umzugehen. Aber auch der Schal, der ja der rote Faden in der Geschichte ist (auch wenn nur am Anfang über ihn gesprochen wird, der aber immer da ist), regt an sich vielleicht mit einem besonderen Erinnerungsstück zu umgeben. Viele Kinder haben eine Jacke, einen Pulli , oder eine Decke des verstorbenen Elternteils im Bett. Da ist etwas was sie festhalten können, was anfangs auch noch besonders duftet. Etwas was ganz nah bei ihnen ist und gut tut.

Bilderbücher sind in dieser Trauerphase sowohl für die Kinder als auch die Erwachsenen ein ganz wichtiges Medium, um getröstet zu werden, und Hoffnung und Inspiration zu bekommen. Da ist jemand, dem es genauso, oder ähnlich geht, das hilft.
Man darf nicht vergessen, auch die Erwachsenen trauern, müssen mit dem Verlust des Partners fertig werden. Auf ihnen lastet aber gleichzeitig sofort auch die Verantwortung für das trauernde Kind / für die trauernden Kinder. Das ist eine extrem belastende, schwierige Situation.

Durch die Geschichte von Otis und seinem Papa bekommen Betroffene gleich welchen Alters Inspirationen. Das gemeinsame Gestalten einer Erinnerungswand ist eine unglaublich schöne Idee, weil sich hier alle einbringen, und auch ihre Erinnerungen in gegenseitigem Geschichtenerzählen teilen können. Auch das Verreisen an Orte, die Bedeutung haben, ist eine schöne Idee.

Was ich sehr schön finde, ist, dass durch die kindgerechte, einfühlsame Erzählweise und die extrem ausdrucksstarken, wundervollen Bilder das Buch nicht nur ein echtes Trostpflaster für Betroffene ist, sondern auch Außenstehenden / nicht Betroffenen ein Gefühl dafür vermittelt, wie schwer es ist einen geliebten Menschen zu verlieren.

Wir sollten das Thema Tod viel mehr in unseren Alltag lassen und Bilderbücher zum Thema Abschied, Tod und Trauer nicht erst dann aus dem Regal holen, wenn ein Anlass besteht. Wir sollten den Tod als Teil des Lebens annehmen und integrieren. Das können wir indem wir Bücher wie dieses immer mal ohne Anlass vorlesen und darüber sprechen, denn so nehmen wir dem traurigen, sprachlos machendem Thema schon ein wenig der Sprachlosigkeit. Die Kinder erleben, das die Erinnerung  ein Leben lang bleibt und sie lernen Möglichkeiten der Trauerbewältigung, wie z.B. die Erinnerungswand kennen, auf die sie zurückgreifen können.

Der Umgang mit Tod und Trauer ist sehr individuell, je mehr wie darüber wissen, je mehr wir das Thema in unser Leben lassen, desto weniger Angst macht es.
Also lest mit den Kindern Bücher wie dieses.

Zu diesem Buch hat Cornelia Funke ein liebevolles Vorwort geschrieben und auch Joana Dürnberg richtet zum Schluss noch ein paar Worte an ihre Leser, in denen sie etwas zum Thema und dem Buch erzählt.


Mehr zum Buch erfährst du auch auf der Seite des Verlags. Der Link führt hin.