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Schwarze Liese

 

Bildquelle: Mabuse Verlag
Schwarze Liese
von Annie M. G. Schmidt
illustriert von Annemarie van Haeringen
übersetzt von Christian Golusda
26 Seiten
1. Aufl. 18. März 2024
ISBN: 9783863216573
Mabuse Verlag
16,00€

Ein eindrucksvolles, schönes Buch mit Schmunzelfaktor
 zum Thema Anderssein, Ausgrenzung und Depression
-eine Reimgeschichte-
für Kinder ab 4 Jahren
Annie M.G. Schmidt ist eine in den Niederlanden sehr bekannte Kinderbuchautorin, der wir zahlreiche ganz wundervolle Bilderbuchgeschichten verdanken. Leider sind die wenigsten ins Deutsche übersetzt.
Umso schöner ist es, dass der Mabuse Verlag sich dieser Geschichte, die eigentlich schon zu den Kinderbuchklassikern gehört, angenommen und von Christian Golusda hat übersetzten lassen.
In einer herrlich eingängigen Reimsprache, die einen im perfekten, der Handlung angepassten Tempo durch die Geschichte führt, erzählt Annie M.G. Schmidt von Huhn Schwarze Liese, die sich so sehr wünscht, nicht nur ganz schwarz zu sein. Ein Federkleid mit Tüpfchen, das würde ihr gefallen, doch von Tüpfchen war nun wirklich nichts zu sehen.
Irgendwann jedoch bildete sie sich ein, doch Tüpfchen wie die anderen Hühnern zu haben, die, so sagte sie sind so schwarz, dass man sie nicht gleich erkennt. Und mit dieser eingebildeten Erkenntnis  ging sie zu den anderen Hühner, die das Problem der Schwarzen Liese für wohl nicht so wichtig erachteten und sich über sie lustig machten.
Die Reaktion der anderen  machte Schwarze Liese sehr, sehr traurig. "Sie fiel in eine depressive Kriese. Sie aß nicht mehr, sie trank nicht mehr und zu allem Übel legt' sie auch keine Eier mehr, ihr Kopf war voll Gegrübel." (Zitat)
Sie aß nichts mehr, sie tank nichts mehr, was wirklich nicht gut ist. Und so kam es, dass die anderen sie irgendwann (scheinbar) tot vorfanden.
Alle waren sehr traurig und verabschiedeten sie mit einem Trauerzug und einer sehr ergreifenden Grabrede des Hahns, in der er betonte, wie lieb ihnen die Schwarze Liese mit ihrem schwarzen Federkleid und den
schwarzen Tupfen war und wie traurig sie sind, sie nicht mehr unter sich zu haben. Und plötzlich passierte etwas Unglaubliches, Liese schlug die Augen auf. Ihre Lebenskräfte waren zurück. Erst ganz wenig, aber nach einem ausgiebigen Essen und reichlich Flüssigkeit ging es ihr wieder gut. 
Das der Hahn ihre schwarzen Tupfen erwähnt und auch herausgestellt hatte, war unglaublich.
Fortan war die Schwarze Liese glücklich und zufrieden und bekam sogar wundervolle Küken.
Diese eindrucksvolle Geschichte über das Anderssein und genauso sein wollen wie die anderen, über die Traurigkeit, die zur Depression wird, gibt es bereits seit 1987. Sie lebt viel von der Bildsprache, insbesondere der Farbwirkung des Schwarz, das heraussticht und teilweise dominiert.
Bei aller Schwere des Themas hat die Geschichte trotzdem eine schöne Leichtigkeit, die über den Reimrhythmus transportiert wird, der einen durch die Handlung führt und mitfühlen lässt. Die Leichtigkeit mit Schmunzelfaktor wechselt sich mit emotionalen, traurigen Momenten ab, die deshalb so intensiv bei uns Lesern ankommen, weil die Autorin klare, einfache kurze Aussahen wählt, um zu erzählen. "...Sie aß nicht mehr, sie trank nicht mehr und zu allem Übel legt' sie auch keine Eier mehr, ihr Kopf war voll Gegrübel." (Zitat). Beim Vorlesen kann man die durch Kommata getrennten, aufzählenden Elemente durch eine bewusst etwas längere Pause noch intensiver wirken lassen und ihnen so mehr Ausdruckskraft und Intensität zu verleihen.
Ich werde oft von Eltern gefragt, wieso es überhaupt Kindergeschichten über Depression gibt, weil Kinder doch noch gar nicht unter Depression leiden. Doch dem ist nicht so. Schon kleine Kinder fühlen sich mal ungeliebt, haben das Gefühl, nicht genug zu sein, anders zu sein. Die Botschaften "Du bist gut so wie du bist" und "Wir lieben dich genauso wie du bist" sind daher unglaublich wichtig. Genauso wichtig wie die Sensibilisierung für das Thema, denn wie so oft gibt es natürlich auch hier zwei Seiten der Medaillier. Wenn wir sehen, jemand zieht sich zurück, ist oft traurig, dann sollten wir auf ihn zugehen und nicht zusehen oder sogar ausgrenzen oder auslachen.
"...Sie aß nicht mehrsie trank nicht mehr..." (Zitat) das sind Anzeichen, die alle wahrnehmen können. Doch oft wird es nicht gesehen. Wenn man aber weiß , dass dies Anzeichen für tiefe Traurigkeit (kleine Depression) sind, ist man bestimmt sensibler und reagiert anders. Genau das ist auch Intention des Buches, das wirklich viele Denkanstöße liefert und somit auch reichlich Gesprächsstoff. Die Gespräche sind neben der Geschichte ein wichtiges Element, um Kindern das Thema Depression kindgerecht zu vermitteln. Meinungen, Gedanken und Entwicklung von Lösungsansätzen sammeln sind hier das Thema. Dabei kommen oft ganz interessante und sehr unterschiedliche Wahrnehmungen der Geschichten bei den Kindern zutage, die wiederum aufgegriffen und besprochen werden können.

"Die Hühner haben die Schwarze Liese nicht wegen ihres schwarzen Federkleids ausgegrenzt, die waren genervt, weil sie anders sein wollte als sie war, sie waren genervt, weil sie immer gejammert hat, weil sie Tupfen wollte und sie waren sicher auch genervt, weil sie sauer war, dass die anderen ihre schwarzen Tupfen nicht sahen", kommentierte ein Kind. "Sie war unzufrieden mit sich selbst, das hat die anderen genervt, weil sie nicht verstanden haben, wie wichtig es Lise war, so zu sein wie die anderen", sagte ein anderes Kind und ergänzte, die anderen hätten ihr doch einfach zeigen und sagen können, dass sie sie lieb haben. Liesl dachte, sie muss genauso aussehen, damit sie geliebt wird." 
Die Gedanken der Kinder zeigen sehr deutlich, dass es einfach eine Sensibilisierung geben muss, damit bestimmte Dinge gar nicht erst eintreten.  Sensibilisierung in Bezug auf den Umgang mit anderen, die vielleicht nicht so sind wie man selbst, Sensibilisierung, um Traurigkeit zu erkennen, Sensibilisierung, dass sich Traurigkeit zu einer Depression manifestieren kann, die im schlimmsten Fall in der Selbstaufgabe und dem Tod enden kann und das es gerade deshalb so wichtig ist, rechtzeitig zu reagieren, wenn man so etwas bei jemandem beobachtet.
Im Laufe der Gespräche mit den Kindern wurde ich auf etwas aufmerksam, womit ich so nicht gerechnet hätte. Es gab ein Kind, das sagte: "Liese hat das mit dem nicht mehr essen und allem bestimmt nur gemacht, um die Aufmerksamkeit der anderen zu bekommen. Der Tod macht sie besonders, also hat sie doch noch was erreicht, auch wenn sie das nicht mehr mitbekommen hätte, wenn sie wirklich tot gewesen wäre." Kinder sollten durch die Geschichte nicht inspiriert werden, etwas Unüberlegtes und womöglich Gefährliches zu tun, um Aufmerksamkeit  zu erlangen. Dies müssen wir im Gespräch unbedingt aufgreifen, denn gerade wegen der recht lustig wirkenden Zeichnung beim Trauerzug, die den Moment festhält, als die Schwarze Liese  "aufersteht", kann bei fantasievollen Kindern suggerieren, es war gar nicht so schlimm, nicht zu essen und zu trinken etc.
Die Bildsprache ist ein entscheidender Transporteur der Handlung, über die man "hautnah" im Geschehen ist und alles miterlebt. Gefühle werden genauso erlebbar wie Situationen. Im Allgemeinen sind diese sehr klar, doch mitunter kann es auch passieren, dass Kinder sie fehlinterpretieren, daher ist es bei Geschichten wie dieser sehr wichtig, intensiv mit Kindern über die Geschichte zu sprechen.
Sprechen ist der Schlüssel für so vieles, nicht nur dem Verstehen.
Dieses Buch ist ein wirklich schönes Buch zum Thema Depression, von denen es leider immer noch sehr wenige gibt. Sie sind wichtig, weil sie uns viele Möglichkeiten liefern, mit Kindern ins Gespräch zu kommen und für das Thema zu sensibilisieren. Sie sind aber auch wichtig, um Kindern in ähnlicher Situation Mut zu machen und zu zeigen, dass es auch ein Raus aus der Traurigkeit gibt und das Leben richtig schön sein kann.

Was mir an dem Buch etwas fehlt, ist ein Nachwort, wie man mit dem Buch mit Kindern ins Gespräch kommen und das Gespräch auch lenken kann, Hinweise und Tipps, wie man reagieren kann und ganz wichtig ein paar professionelle Anlaufadressen.

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