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Nie mehr Oma-Lina-Tag?

Bildquelle: Gabriel Verlag
Nie mehr Oma-Lina-Tag?
eine Geschichte von Hermine Stellmacher
mit Bildern von Barbara Korthues
32 Seiten
1. Aufl. 28. August 2021
ISBN: 978-3-522-30586-0
Gabriel Verlag
14,00€

Eine offene, klar und einfühlsame erzählte Geschichte
zum Thema Tod
aber auch über Freundschaft und Familiengefühl
für Kinder ab 4 Jahren
Vorab:
Dies ist die Neuauflage einer Geschichte, die erstmals 2005 erschien, damals allerdings mit Bildern von Jan Lieffering. Die Illustratorin Barbara Korthues hat sich der Geschichte angenommen und visualisiert das Geschehen auf ihre eigene Art mit Bildern, die nah am Umfeld der Kinder sind, mit ausdrucksstarken, wirklich sprechenden Gesichtern, in denen die Mimik klar erkennbar ist. Ich sträube mich ein wenig dagegen zu sagen, die Illustrationen sind moderner, denn das würde den Bildern der Erstauflage einen negativen Touch geben, und das möchte ich nun gar nicht. Barbara Korthues Illustrationsstil ist ein anderer. Es ist als würde man durch ein klares Fenster in die Welt um uns herum blicken, sehr real. Eine Welt in der Kindern vieles wiedererkennen, wärend die Zeichnungen von Jan Lieffering verschwommener wirken. Ich persönlich freue mich sehr darüber, das der Verlag sich dieser wundervollen Geschichte noch einmal angenommen hat und mit Barbara Korthues eine Illustratorin gewinnen konnte, die es geschafft hat, das Buch zu neuem Leben zu erwecken. Das Zusammenspiel von Bild und Text ist hier einfach perfekt!


Das Thema Tod gehört zum Leben. Gerade deshalb sollte man mit den Kindern auch Bilderbücher zum Thema Tod lesen und das, wenn eben möglich, nicht erst, wenn es einen aktuellen Anlass gibt.
In "Nie mehr Oma-Lina-Tag" erzählt die Autorin Hermine Stellmacher die Geschichte des kleinen Jasper und seiner Wahl-Oma Lina. Oma Lina ist nicht Jaspers richtige Oma, aber das ist völlig egal, denn Oma Lina macht mit Jasper all das was "richtige" Omas machen. Sie holt ihn von der Schule ab und passt auf ihn auf, wenn Jaspers Eltern keine Zeit haben. Jasper und Lina unternehmen viel, sie spielen und lachen zusammen, sie erzählen sich aus ihrem Leben und sind richtig gute Freunde. Jeden Mittwoch ist für Jasper Oma-Lina-Tag. Ganz besonders gern backt Jasper mit Oma Lina Pfannkuchen. Oma Lina ist die weltbeste Pfannkuchenbäckerin.
(Bildquelle: Gabriel Verlag)
Ihre alten Rezepte hat sie in einem kleinen Büchlein festgehalten. Doch plötzlich ist alles anders. Es ist Mittwoch und Jasper wird von seiner Mutter von der Schule abgeholt. Er erfährt, das Lina krank ist und ins Krankenhaus muss. Bevor sie abgeholt wird gibt sie Jasper noch ihr Pfannkuchenheft damit er weiter üben kann, die besten Pfannkuchen zu machen. 
(Bildquelle: Gabriel Verlag)
Es ist ein Abschied, der endgültig sein wird, doch das weiß der Junge zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Er macht sich Sorgen, löchert die Eltern mit Fragen, die sie so gut es geht versuchen zu beantworten. Dabei sind sie sehr ehrlich und sprechen dabei auch über Abschiede und den Tod. Als ein paar Tage später das Telefon klingelt und sie erfahren, das Lina gestorben ist kann es Jasper erst nicht glauben. Ins Krankenhaus kommt man dich eigentlich um gesund zu werden. Nun fahren sie dort hin um sich von Oma Lina zu verabschieden. Friedlich liegt sie in ihrem Bett.
Wieder ist es der Vater, der Jasper alles genau erklärt. Er erzählt ihm von Gott und der Seele und das Lina für immer weiter lebt. Die offene und selbstverständliche Art, mit der die Eltern ihren Sohn in alles einbeziehen ist für den ein oder anderen Erwachsenen bestimmt befremdlich, macht aber hoffentlich Mut es ihnen gleich zu tun. Jasper darf überall dabei sein und bekommt alles genau erklärt. Ob im Krankenhaus, im Beerdigungsinstitut 
oder auch im Vorgespräch zur Beerdigung Jasper wird immer mit einbezogen und darf sogar seine Ideen für die Trauerfeier mit einbringen.
Obwohl Oma Lina nicht offiziell zur Familie zählte ist sie Teil von Jaspers Familie gewesen und so ist es für die Eltern auch ganz selbstverständlich, sich um alles zu kümmern. Abschied nehmen ist nicht leicht, erst recht nicht wenn es für immer ist. Man kann einen Abschied aber so schön gestalten, dass man sich bei aller Traurigkeit später mit einem Lächeln daran erinnert. Jasper verabschiedet sich von Oma Lina gleich mehrfach. Am Krankenbett, im Krankenhaus und bei er Beerdigung, 
(Bildquelle: Gabriel Verlag)
jeder Abschied ist schwer und gleichzeitig etwas Besonderes. Das Jasper später leichter daran zurückdenken kann liegt auch daran, das er von seinen Eltern ernst genommen wird. Er hat die Idee zum Beerdigungs-Kaffee, nach Linas Rezept Pfannkuchen zu backen und ihre Freunde dazu einzuladen. Eine tolle Idee, die bestimmt ganz nach den Linas Geschmack gewesen wäre und ihre Freunde genauso begeisterte. 
Man kann Kindern mehr zutrauen / zumuten, als man sich vielleicht vorstellen kann. Viele Erwachsene neigen dazu ihre Kinder nicht so offensichtlich mit dem Tod zu konfrontieren wie es Jaspers Eltern tun. Oft liegt es daran, dass sie selbst so geschockt und in ihrer eigenen Trauer sind, das ihnen die Worte fehlen. Es gibt aber auch die Erwachsenen, die meinen Kinder wären noch zu klein, ihre Seelen zu zerbrechlich. Je selbstverständlicher und offener wir mit dem Thema Tod umgehen, desto leichter und selbstverständlicher gehen auch Kinder damit um. Wieso also nicht einfach einmal ein Buch wie dieses mit den Kindern lesen und darüber sprechen, auch wenn kein konkreter Anlass besteht. Wir sollten den Tod nicht außen vor lassen sondern akzeptieren, das er zum Leben dazu gehört. Je selbstverständlicher und offener wir damit umgehen, mit den Kindern darüber ins Gespräch kommen, je weniger Angst haben Kinder, wenn des denn dann doch einmal einen Anlass gibt Abschied von einem geliebten Menschen/ Tier etc.  zu nehmen. Je mehr wir Kinder in den Prozess der Abschiednehmens mit einbeziehen, desto leichter wird es Kindern fallen mit der Situation umzugehen. Eine Beerdigung ist ein trauriger Anlass sich zusammenzufinden, sich vielleicht nach vielen Jahren einmal wiederzusehen, wie wir einen traurigen Anlass dennoch schön gestalten können, das zeigt uns der kleine Jasper mit seiner Pfannkuchen-Feier.
Dank der liebevollen, sehr ausdrucksstarken und einfühlsamen Illustrationen von Barbara Korthues fällt es Kindern leicht der Geschichte zu folgen. Dort wo dem ein oder anderen Worte fehlen um zu erklären findet die Autorin Hermine Stellmacher sie für uns, und dort wo wir Bilder brauchen um zu begreifen, um zu sehen was unsere Vorstellungskraft vielleicht noch nicht her gibt, hilft uns die Illustratorin mit ihren klaren, sehr realistischen Bildern, die genau das widerspiegeln, was uns beim Kontakt mit dem Tod erwartet. Es ist traurig wen ein geliebter Mensch von uns geht und diese Traurigkeit darf man auch in den Bildern sehen. Sie zeigen aber auch, dass bei aller Traurigkeit die Erinnerung und das schöne Gefühl an das Erlebte, lächeln lassen. Die Erinnerung hilft den Weg aus der Traurigkeit zu finden und zeigt, das der, den wir nicht mehr um uns haben dennoch immer bei uns ist. Genau das spüren viele Kinder beim Blick auf die letzten Bilder.

Aber nicht nur das, mit ihren Bildern schafft sie Raum, vielleicht gemachte eigene Erfahrungen mit dem Geschehen zu verbinden und sie schafft Raum für Gespräche, denn nicht alles was wir dort entdecken wird in der Geschichte verbalisiert. Da ist das offene Fenster im Krankenhauszimmer, der Wind weht hindurch und lässt die Gardine flattern. Das Kind nimmt das Bild wahr, misst dem aber keine Bedeutung bei. Wir können diese Szene aufgreifen und in einen Kontext mit der Geschichte bringen, in der der Vater Jasper von Körper/ Hülle und Seele erzählt. 
Der Körper ist "nur" eine Hülle, das was den Menschen ausmacht, was wir an ihm lieben, das bleibt und lebt im Himmel weiter und deshalb öffnen wir das Fenster um der Seele den Weg nach draußen und in den Himmel zu ermöglichen. Vielen Kindern hilft der Gedanke beim Verstehenlernen und Abschiednehmen.
Wir können das Bild im Beerdigungsinstitut oder auf dem Friedhof nutzen um noch mehr zu erzählen oder eigenes Erlebtes mit einzubinden. 
Die Bilder sind genau wie die Geschichte Türöffner, die uns Vorlesenden, genauso wie den Kindern, den Weg weisen sich mit dem Thema Tod zu beschäftigen.

p.s. Ich habe hier dieses Mal ganz bewusst mehr Bilder aus dem Buch  mit eingebracht um euch zu zeigen, dass man Kindern das Thema Tod mit dieser Geschichte wirklich realistisch vermitteln kann, ohne Kindern Angst zu machen. Ein Buch allein reicht jedoch nicht um all die Fragen, die Kinder haben werden zu beantworten. Daher solltet ihr euch schon vor dem Vorlesen darüber im Klaren sein, das man das Buch nicht einfach schließt und dann zur Tagesordnung übergeht. Eine Geschichte wie diese kann helfen Worte zu finden, zu erklären, ist aber immer nur ein Türöffner und nie die vollständige Antwort dafür ist das Thema zu individuell und vielschichtig. Ich sage das, weil ich in letzter Zeit vermehrt Zuschriften  und Rückmeldungen bekommen habe, die mehr oder weniger kritisch anmerken, dass ein Buch zu diesem Thema zu viel Fragen aufwirft und nicht vollständig Lösungen bietet. Kein Buch der Welt wird es schaffen, Kinderfragen zu verhindern. Nicht zum Thema Tod und auch zu keiner anderen Geschichte, egal wie banal sie sein mag. Kinder haben Fragen. Zu allem und jedem haben sie Fragen, und das ist auch gut und wichtig. 

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