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Ich und meine Angst

 

Bildquelle: Nord Süd Verlag
Ich und meine Angst
von Francesca Sanna
40 Seiten
1. Aufl. 07. Februar 2019
ISBN: 978-3-314-10471-8
Nord Süd Verlag
16,00€

Ein einfühlsames, ausdrucksstarkes, 
poetisches Bilderbuch
über Angst, Ängste überwinden, 
Fremdsein und Neuanfang
-auch über Fremdsein in einem anderen Land-
für Kinder ab 4 Jahren
Francesca Sannas Bilderbuch erzählt mit wenigen, aber sehr packenden Worten und sehr ausdrucksvollen Illustrationen eine Geschichte, in der sich jeder wiederfinden kann und vielen doch so fremd sein wird.
Die kleine Ich-Erzählerin hat ein Geheimnis. Ein Geheimnis, dass sie schon immer begleitet. Sie hat "eine winzige Freundin names Angst".
Sehr schön ist, dass die Künstlerin die Ich-Erzählerin selbst erzählen lässt und die Angst als Teil des Lebens darstellt, die einen immer begleitet. Mehr noch sie bezeichnet sie als Freundin. Als winzige Freundin names Angst, die immer auf sie aufpasst und beschützt.
Es verwundert viele Kinder zunächst, dass das Mädchen die Angst als Freundin sieht, dass sie sogar sagt das die Angst etwas Positives, etwas Beschützendes ist, doch mit der Zeit lernen die Kinder zu verstehen, dass Angst nicht immer was Schlechtes, Bedrückendes, Erdrückendes ist, das Angst wirklich hilfreich sein kann. Ohne Angst wären viele Situationen gefährlich. 
In ihren Bildern gibt Francesca Sanna der Angst ein Gesicht. Eine winzig kleine weiße, fast durchsichtige Figur, die die Ich-Erzählerin begleitet. Die mit ihr unter das Bett schaut, die mit ihr vor den bellenden Hunden steht. Die beiden scheinen ein gutes Team zu sein.
Das bleibt so, bis die Protagonistin in ein neues Land kommt.  Aus der kleinen Freundin wird eine immer größer werdende Begleiterin. Die Angst wird so groß, so einnehmend und umklammernd und wächst und wächst und lässt der Ich-Erzählerin gar keinen Raum mehr. Sie ist geradezu gefangen von der Angst. Alle Versuche die Angst wegzuschieben scheitern. Die Angst will nicht, dass sie in die Schule geht, ist immer übermächtig bei der Kleinen. Die Angst hasst die Schule, sie wird wütend, wenn die Lehre den Namen der Protagonistin falsch aussprechen, obwohl sie genau weiß, dass sie das nicht mit Absicht machen. In der Pause umschlingt die Angst das Mädchen so fest, dass kein anderes Kind die Chance hat mit ihr in Kontakt zu treten. Das Mädchen versteht die anderen Kinder nicht.
Die Angst macht so viele Dinge, die das Mädchen belasten, stören oder ärgern und die Angst macht, dass sich das Kind immer einsamer fühlt. Die Angst geht sogar noch weiter, sie sagt, dass die anderen das Mädchen nicht mögen.
Beim Vorlesen und Betrachten der Bilder erleben wir Situationen, die jeder nachvollziehen kann und schnell wird klar, dass die Angst nur ein Ausdruck dessen ist, was das Mädchen fühlt. Das Mädchen wird wütend, weil ihr Name falsch ausgesprochen wird. Das Mädchen zieht sich zurück, signalisiert den anderen das es anders ist. 
Die Angst ist ein Teil des Mädchens. Der Teil, der schützend sein kann aber auch einengend. 
Es gibt einen Moment, da können wir uns kaum vorstellen, dass das Mädchen jemals aus diesem Teufelskreis herauskommt, dass sie sich von der Angst lösen kann. Als Leser, egal ob klein oder groß ist das der Moment, an dem wir wissen, es muss etwas passierten. Das Mädchen braucht Hilfe. 
Diese Hilfe bekommt sie auch. 
Ein Junge aus der Klasse geht auf sie zu, will ihr etwas zeigen. Und tatsächlich lässt sich das Mädchen darauf ein. Fast Vertrauen. Sie malen und basteln zusammen, es entsteht eine Freundschaft. Und mit diesem Gefühl nicht mehr allein zu sein, wird auch die Angst immer kleiner. Die Angst klammert nicht mehr an dem Mädchen, steht neben ihr, läuft hinter ihr her, manchmal hüpft sie wie ein kleiner Rucksack auf den Rücken. Die Angst wird wieder zur kleinen, begleitenden Freundin. Aber es kommt noch besser, auch der Junge hat einen Begleiter, eine geheime Angst, einen geheimen Freund.
Und blicken wir auf die letzten Bilder im Buch, dann sehen wir alle Kinder in der Klasse und auf dem Schulhof mit einer Angst neben oder an sich. 
Spätestens hier wird jedem klar, jeder hat eine Angst und das ist gar nicht schlimm, sondern die kleine Angst, die kann wirklich ein Freund sein. Es sind sehr lustige Bilder mit denen Francesca Sanna ihre Leser aus der Geschichte führt, fast schon wünschte man sich seine Angst auch in den Arm nehmen zu können wie ein Kuscheltier.
Die Geschichte lässt erleben, was Angst sein kann, was Angst mit einem macht und wie wichtig Freunde sind, aber vor allem macht sie dem Leser bewusst, dass Angst zu einem gehört und jeder sie hat. Das Gefühl nicht allein mit der Angst zu sein, sondern dass jeder eine mit sich trägt, hilft gerade Kindern, die gerade von ihrer Angst umhüllt sind, sehr.

Das Angst hier ein Gesicht bekommt, das die Angst als eigenständige Figur erlebbar ist bringt eine ganz besondere Atmosphäre in die Geschichte, die überwiegend über die Bildsprache erzählt wird. Die wenigen, ausdrucksstarken Sätze setzten Akzente, die im Kopf bleiben.

Für Kinder, die gerade nicht mit einer übergroßen Angst leben ist das Verhalten derer, die von ihrer Angst umhüllt werden meist nicht verständlich. Sie urteilen vorschnell finden das Kind seltsam, merkwürdig, machen sich vielleicht sogar lustig. Durch dieses Bilderbuch lernen sie zu verstehen, begreifen das das seltsame Verhalten nicht Ablehnung oder Arroganz ist, sondern Angst und Unsicherheit.
Mit Sicherheit begegnet man seinem Gegenüber nach dieser Geschichte etwas anders. Im besten Fall animiert es uns auf andere zuzugehen, so wie der Junge in der Geschichte.

Dass das Mädchen aus einem anderen Land kommt, dass es sich unwohl in der Klasse, auf dem Schulhof fühlt, weil es die anderen auch nicht versteht, wird in der Geschichte thematisiert, aber nur als ein Teilaspekt im Handlungsverlauf. Es ist also kein Buch nur über das Fremdsein, sondern in erster Linie über die Angst. Das Gefühl der Angst. Über Ängste.  Ängste die jeder hat, egal woher er kommt und wo er ist.

p.s. Ihr solltet unbedingt auch die Nachbemerkung zum Buch lesen. 
Sie erweitert den eigenen Horizont und schafft eine besondere Nähe zur Künstlerin.

Und hier die Insta-Bilder