Bildquelle: Coppenrath Verlag
In deinem fernen Land
von Michael Engler
mit Bildern von Matthias Derenbach
32 Seiten
1. Aufl, Juni 2021
ISBN: 978-3-649-63712-7
Coppenrath Verlag
15,00€
Eine außergewöhnliche, sehr intensive und emotionale, Geschichte über Mut und Kraft, über Loslassen können, Neugier, Hoffnung und Zusammenhalt
für Kinder ab 5 Jahren
Wer dieses Buch in die Hand nimmt ist fasziniert vom Cover. Wir können nicht genau erahnen, was uns im Inneren erwartet. Es liegt ein Hauch von Melancholie in der Luft. Der Titel lässt vermuten, das es sich um Sehnsucht handeln könnte. Sehnsucht nach einem fernen Land.
Die Vögel, die durch die Luft schwirren können hier hin und da hin fliegen. Was irritiert, ist dass das Kind auf der Wiese in eine recht karge Berglandschaft schaut. Kann man sich nach etwas grauem, kalten und kargen sehnen? Wohl er nicht, meinen meine Kinder im Alter zwischen 5 und 12 Jahren und sind gespannt wie sich das in der Geschichte auflöst.
Die kleinen leuchtenden Schmetterlinge fallen auf. Es ist als würden sie den Weg weisen können. Doch wieso fliegen sie von einer scheinbar schönen Stelle in die Richtung, die uns nicht so anspricht?
Die Illustration gibt Rätsel auf, macht neugierig auf die Geschichte, die uns da wohl erwarten wird. Nicht nur die leuchtenden Schmetterlinge wirken magisch, es ist das Gesamtbild. Und dennoch sind es die Schmetterlinge, die uns gleich darauf wieder den Weg weisen. Auf dem Vorsatz schwirren sie und weisen den Weg ins Buch.
Das Titelblatt empfängt uns mit einer farbenfrohen größeren Vignette. Lachende Kinder, die einen Kreis Bilden. Tuscheln sie? Hecken sie etwas aus? Freuen sie sich auf etwas?
Zu diesem Zeitpunkt ahnt noch niemand auf was für eine spannende, intensive, abenteuerliche Reise uns Autor Michael Engler und Illustrator Matthias Derenbach mitnehmen werden, nur eines, da sind sich die Kinder einig, es wird geheimnisvoll und magisch.
Und sie haben recht. Michael Engler erzählt eine Geschichte, die an Faszination kaum zu überbieten ist. Eine Geschichte, die uns Lesern wie Zuhörer, intensiv mitfühlen und mehr als einmal den Atem stocken lässt, aber auch ganz deutlich zeigt, das es sich lohnt neugierig und mutig zu sein. Selbst wenn es unglaublich schwierig ist das Ziel zu erreichen und viele sagen, dass es nicht möglich ist, sollte man sein Ziel nicht aus den Augen verlieren.
Auf der Rückseite des Buches lesen wir ein Zitat von Seneca, das mit wenigen Worten viel vermittelt: "Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer." Die Kinder dieser Geschichte wagen es und wachsen dabei über sich hinaus.
Wieder einmal sitzt Animah unter der Buche, die ihr Lieblingsplatz zu sein scheint und blickte dabei auf die hohen, kargen Berge in der Ferne. Und wieder einmal stellt sie sich vor, was wohl hinter den Bergen, hinter dem Novemberland liegen mag. Sie erzählt die Geschichte ihres Dorfes, das weit von dem dusteren, traurig wirkenden Novemberland mit den hohen grauen Bergen gebaut wurde, weil es den Ältesten zu gefährlich erschien, nah an diesem Land zu siedeln. Die Vorstellung, dass es noch ein Land hinter dem Novemberland geben könnte regt nicht zur Animahs Fantasie an. Die Kinder des Dorfes, die sich immer an der Buche trafen träumten gemeinsam, und sie träumten von dem was sie selbst nicht hatten.
Von "grünen Wiesen auf sanften Hügeln, sprudelnden Bächen voller glitzernder Fische......" sich ein Land zu erträumen ist eine Sache, und macht Spaß, erklärt aber noch lange nicht was wirklich hinter dem Novemberland lag. Für Odilli stellt sich die Frage, wieso sie sich nicht auf den Weg machen um es zu entdecken und die Blätter der Buche wispern leise:"..traut ihr euch....". Einige der Kinder sind begeistert von der Idee, andere haben Bedenken oder sogar Angst. Wenn es vor ihnen noch niemand gewagt hat wird das seinen Grund haben. Das Novemberland ist gefährlich, so hieß es immer wieder, und wenn man aus der Ferne auf das Land schaut, kann man erahnen, dass es wirklich so ist. Wir erleben aber auch, dass das Land in dem sie zuhause waren nicht so schön ist. So grün wie der Platz unter der Buche ist es nicht überall.
Es herrscht große Trockenheit, die die Blätter von den Bäumen fallen lässt und die Brunnen austrocknet. Die Pflänzchen, die vielleicht noch versuchen zu überleben haben kaum eine Chance. Und so nehmen die Kinder all ihren Mut zusammen, beschließen sich auf den Weg zu machen, das Unbekannte zu entdecken. Animah buddelt einen kleinen Buchensetzling aus, den sie retten möchte. In der Nacht versammeln sich alle und machen sich heimlich auf ins Abenteuer.
Das es schwierig wird, damit rechnen sie. Wie schwer es werden könnte und was sie erwartet, das jedoch können sie sich nicht vorstellen und wer die Geschichte schon einmal miterlebt hat, der versteht auch wenn ich sage, das es besser ist das sie nicht wissen was auf sie zukommen wird, denn dann hätten sie es sich vermutlich noch einmal überlegt. Auf die Kinder und uns Leser wartet eine abenteuerliche Reise ins Unbekannte. Eine Reise voller Kälte, Dunkelheit und auch widriger Wetterverhältnisse. Eisig, stürmisch und Kräfte zehrend. Michael Engler erzählt so einfühlsam, so emotional und bildlich, dass das Geschehen vor unserem inneren Auge wie ein Film abläuft. Matthias Derenbachs Illustrationen sind es dann aber, die uns emotional wirklich mit empfinden lassen. Es sind unglaublich ausdrucksstarke Illustrationen, die die Kraft der Wetterkapriolen schon fast hautnah spüren lassen. Seine Bilder sind die Seele der Geschichte. Es ist als wanderten wir mit den Kindern. Eine solche Intensität im Zusammenspiel von Geschichte und Illustration, im Bilderbuch, gibt es sehr selten. Matthias Derenbachs Illustrationen sind immer Bilder mit Seele. Er ist es, der den Spagat zwischen, Faszination, Magie und Realität zu vereinen weiß. Ihm gelingt es in Bildern, die eine "Katastrophe" (schwierige, fast ausweglose Situation) darstellen gleichzeitig auch den Funken Hoffnung zu visualisieren. Die immer wiederkehrenden, begleitenden Schmetterlinge sind Symbol für die Hoffnung, für die Stärke. Sie führen durch die Geschichte als würden sie die Karawane an die Hand nehmen.
Die Karawane der Kinder wird ganz schön gefordert, doch hier hilft jeder jedem, die Stärkeren, den Schwächeren, niemand wird vergessen, auf jeden wird geachtet und die glitzernden Schmetterlinge, mit ihrer magischen Leuchtkraft, scheinen den Weg zu weisen. Mit der Zeit erkennen die Kinder, dass sie trotz aller Widrigkeiten alles meistern können. Mit diesen Erfahrungen steigt das Selbstvertrauen, der Mut. Sie blicken nicht mehr so ängstlich, sondern voller Zuversicht auf das was noch vor ihnen liegt und mit der Zeit können sie auch die kleinen schönen Dinge auf ihrem Weg wahrnehmen. Immer dann wenn sie das Gefühl haben zu scheitern machen sie sich gegenseitig Mut, malen sich das Geschehen schön. So wird aus Kälte ,Wärme, aus Grau, Bunt.
Bei aller Kraft und allem Mut, bei aller Willensstärke, die Gruppe muss hart kämpfen, alle Kräfte mobilisieren.
Kräfte, von denen sie nicht wussten, das sie sie haben, doch sie werden belohnt. Sie schaffen es das Novemberland zu durchqueren und entdecken etwas, was noch viel, viel schöner ist als alles was sie sich erträumt hatten. Und sie treffen auf Bewohner, die es kaum glauben können, dass jemand zu ihnen gekommen ist. Meine Lesekinder fragen sich, ob sie sich vielleicht genauso gefragt haben was hinter den grauen Bergen lag? Das einzige was sie von der mutigen Truppe unterscheidet ist, dass sie alles haben, wovon die anderen immer geträumten. Aber auch wer alles hat, möchte doch wissen wo der Weg noch hinführen könnte.
Dieses Bilderbuch ist nichts für kleine Kinder, denn die Intensität des Geschehens macht etwas mit uns. Zwar ist es eine Geschichte mit Happy End, der Weg dahin jedoch sehr bewegend. Und auch wenn ich hier sage es ist eine Geschichte für Kinder ab 5 Jahren, sollte man von Kind zu Kind abwägen. Jeder, der die Geschichte vorliest, sollte sie vorher einmal gelesen haben. Jeder der sie einmal gelesen hat wird etwas fühlen, das man beim Vorlesen von Bilderbüchern nicht oft spürt. Dieses Gefühl zu beschreiben ist müßig, denn jeder fühlt anders, deshalb möchte ich lieber eines meiner Lesekinder (Mädchen 6 Jahre) zu Worte kommen lassen. Sie fragte mich ob man sagen kann, das "die Geschichte tief ins Herz gegangen ist"? Dabei tippte sie auf eine Stelle neben dem Herz und sagte:" da spüre ich sie und da ist sie jetzt auch noch."
Das Schöne an diesem Buch ist, dass es Klein (Kinder ab Vorschulalter) wie Groß begeistert. Es lädt zu Gesprächen ein, lässt Kinder wie Erwachsene nachdenken und auch philosophieren. Es ist ein Bilderbuch, das im Herzen bleibt, das man nicht nur einmal liest, sondern immer und immer wieder herausholt und es ist ein Buch, dessen Illustrationen uns so intensiv durch die Geschichte führen, dass sie uns auch nach dem Lesen vor Augen sind. Auch das sagten die Kinder immer wieder, was uns dazu anregte sie am nächsten Tag das malen zu lassen, was sie am intensivsten aus den Illustrationen mitgenommen haben. Leider kann ich die Bilder hier noch nicht zeigen, da der Wechselunterricht in der Grundschule bislang nur eine online Bildpräsentation ermöglichte. Sobald sie mir vorliegen werde ich hier Fotos einfügen.
Immer vor kamen die Schmetterlinge und die grauen Berge. Die Szenen auf der Reise durchs Novemberland wurden am häufigsten gezeichnet. Aber auch die Buche mit den Kindern, die Karawane der Kinder, beim nächtlichen Aufbruch, waren viel in den Köpfen der Kinder.
Gefragt nach dem schönsten bildlichem Moment, war dann die Illustration mit dem Ausblick auf das Land der Träume, das es wirklich gibt. Aus Traum wird Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit, die schöner ist als jeder Traum und die alle Anstrengungen vergessen lässt. Auch hierzu bekamen die Kinder eine Online-Aufgabe. Sie sollten das Land ihrer Träume zeichnen.
Die Kinder sind von der Neugier getrieben worden, doch war dies bestimmt nicht alles. Blickt man auf das, was das Leben in dem Dorf ausmachte erkennen wir, das durchaus Not da war. Die Kinder sind nicht geflüchtet und dennoch erinnert die Geschichte viele meiner Lesekinder an Menschen, die aus ihrem Land geflüchtet sind. In einer Grundschulklasse gab es zwei Kinder, die 2015 mit ihren Eltern aus ihrem Heimatland geflüchtet sind. Sie fanden sich in der Geschichte wieder, auch wenn sie noch einmal etwas anders erlebt haben. Einer von ihnen kam zu mir und sagte:" weißt du, als wir hier angekommen sind waren wir froh noch zu leben, aber die Leute waren nicht so nett wie in der Geschichte. Keiner hat sich auf uns gefreut, viele haben gesagt, dass wir wieder gehen sollen und ich habe mich schlecht gefühlt. Die Geschichte hat mir etwas erzählt was ich noch nicht gedacht habe. Die Geschichte hat mir gesagt, dass ich stark und mutig war, das ich stark und mutig bin. Ich habe mich nie stark und mutig gefühlt sondern immer nur schwach aber jetzt fühl ich mich stark, verstehst du das?"
Die Geschichte ist keine Flüchtlingsgeschichte und dennoch gibt es Parallelen. Es ist eine Geschichte, die jedem etwas geben kann Älteren vermutlich etwas mehr als Jüngeren), die zum Nachdenken anregt und beim Nachdenken etwas erkennen lässt. Vor allem aber ist es eine Geschichte, die zeigt, dass man sich im Leben etwas trauen soll, dass man an seine Träume glauben und Träume verfolgen soll. Wer versucht seine Träume zu leben wird die Kraft haben sie zu verfolgen auch wenn man nicht glaubte die Kraft zu haben.
Für viele von uns ist dieses Buch mehr als ein Bilderbuch. Es ist ein Kraftquell, ein besonderes Buch, ein sehr wertvolles Buch, ein Buch, das ein Lebensbegleiter werden kann, ein Buch, das Hoffnung macht, ein Buch, das verzaubert, ein Buch, das wie ein wertvoller Schatz ist.
Ein Buch, das in unserem Herzen ist ohne das wir es in den Händen haben.
Es ist schon unglaublich was ein Bilderbuch für Emotionen wecken kann. Was für Gefühle, die wir vielleicht noch nicht kannten.
Es ist ein absoluter Bilderbuch-Schatz.