Unsere Lieblingsbücher

Kein Bett in der Nacht

 

Bildquelle: Knesebeck Verlag
Kein Bett in der Nacht
von  Maria Inès de Almeida
mit Bildern von Cátia Vidinhas
aus dem Portugiesischen übersetzt von Sarah Pasquay
32 Seiten
1. Aufl. 23.06.2021
ISBN 978-3-95728-487-7
Knesebeck Verlag
14,00€

Eine eindrucksvolle Geschichte
über Obdachlose und die Gesellschaft
und der Botschaft nicht weg zu schauen
für Kinder ab 4 Jahren
Leider beschäftigen sich nur sehr wenige Kinderbücher, und noch weniger Bilderbücher mit dem Thema Obdachlosigkeit und wenn, meist nur in Zusammenhang mit Flucht. Dabei begegnen sie, die kein Zuhause, kein Dach über dem Kopf haben, uns fast täglich im Stadtbild, vor allem dann, wenn wir näher hingucken.
Ausgehend von der Frage:
"Mama, wieso sitzt der Mann auf der Straße?"

erzählt Maria Inès de Almeida, inspiriert von ihrem eigenen Sohn, die Geschichte eines Jungen, der Menschen, die auf der Straße sitzen wahr nimmt. Er ist es, der uns seine Geschichte erzählt und durch die Ich-Perspektive eine besondere Nähe schafft. Die kleinen Leser/ Zuhörer können sich mit ihm identifizieren und ihre bereits gemachten Erfahrungen mit dem des Jungen verbinden. Wie er die Welt der Obdachlosen sieht und erlebt wird dabei anders sein und hoffentlich die Augen und Herzen nicht nur der Kinder für diese Thematik öffnen. 
Der Junge erzählt uns, dass er als er noch klein war dachte, das die, die des Nachts draußen schlafen es sehr bewusst und mit Absicht machen um den Sternenhimmel besser sehen zu können und er kam zu der Überzeugung, dass es sehr glückliche Menschen sein müssen, weil sie in den Sternenhimmel gucken können, während er nur seine Zimmerdecke sehen konnte. Aus der Sicht eines kleinen Kindes ist es ein Traum, draußen zu liegen und in den Himmel gucken zu können. So geht es nicht nur dem Protagonisten dieser Geschichte, sondern auch meiner Lesekinder, die bei dem Gedanken gläserne, verträumte Augen bekommen. Seine romantische Phantasie behält der Jungen bis er (als er schon etwas älter ist) von seinen Eltern erfährt, dass die Menschen, die auf der Straße leben sehr traurige Menschen sind. Wieder macht sich der Junge seine eigenen Gedanken. Er weiß, dass es viele Gefühle gibt und man den Menschen ansehen kann ob sie glücklich oder traurig sind. Er weiß auch, dass es Menschen gibt, die ehr immer traurig oder glücklich wirken. Und er kommt zu der Ansicht, wenn es so ist, das Menschen, die auf der Straße leben traurig sind, dann müssen sie schon sehr traurig sein. Doch wieso sind sie traurig? Auch hier sind es die Eltern, die ihm einfühlsam und kindgerecht erklären, das es ganz viele Gründe gibt, wieso Leute traurig sind, wieso sie so traurig sind, dass sie ihr Leben nicht mehr im Griff haben und dann obdachlos werden. Menschen ohne Wohnung nennt man Obdachlose, das weiß der Junge, dank seiner sehr offenen Eltern, nun. Was ihm seine Eltern erzählen macht ihn traurig. Er stellt sich vor, wie es ihnen geht wenn es draußen nicht so schön ist. Wenn sie dem Regen fast ungeschützt ausgeliefert sind. Diese Gedanken tragen ihn eine ganze Weile und dann beschließt er zu helfen. Er sammelt Kleidung und Lebensmittel, die er an die Obdachlosen verteilt. Dabei kommt er kommt er auch mit ihnen ins Gespräch und stellt fest:
".......das Obdachlose ganz normale Menschen sind wie du und ich. Dass sie sich eine Wohnung wünschen, eine Arbeit, ein neues Leben..........und eine Verbindung zur Welt........ . Jemanden, der ihnen etwas gint, das genauso wichtig ist wie ein geborgenes Heim: FREUNDSCHAFT." Seine Mutter erklärt ihm, das man sich als Kind viel vornimmt, das vieles von dem was man als Kind macht oder machen möchte im Alter verloren geht weil man Neues kennenlernt, das für einen wichtig ist. Für den Jungen jedoch steht fest, er wird sein Ziel, den Obdachlosen zu helfen nicht aus den Augen verlieren, er möchte, das sie eines Tages in Wohnungen wohnen und vom Fenster aus in den Himmel gucken können. Weiterhin sammelt er Sachen und verteilt sie an die, die nur scheinbaren den Luxus haben, den Sternenhimmel genießen zu können.
Die Geschichte wird begleitet von wundervollen, sehr ausdrucksstarken, einfach gehaltenen Illustrationen in den unterschiedlichsten Blautönen, die das Gefühl für Draußen noch ein wenig verstärken. Wind und Wetter sind genauso zu spürbar wie die Gleichgültigkeit der Menschen, die ihren Weg gehen ohne auf die, denen es nicht so gut geht zu achten. 
Oftmals sind es die Illustrationen, die ein Bilderbuch zu einem Erlebnis machen und die Geschichte transportieren. Hier ist es etwas anders. Die kindgerecht erzählte Geschichte, des Ich- Erzählers ist so stark, dass sie fast für sich steht und fesselt. Sie könnte ohne Bilder vorgelesen werden und niemand würde Bilder vermissen, denn die entstehen durch die wundervolle Erzählweise von ganz allein in unseren Köpfen. Die Illustrationen im Buch sind nette Ergänzungen, die noch einmal das Geschehen verdeutlichen. Die wichtige Szenen visualisieren, damit die, die noch nicht so viel Bilder im Kopf haben, weil sie vielleicht noch nicht so viel Erfahrungen gemacht haben, an die sie anknüpfen können, ein Gefühl für die Situation bekommen. Das die Geschichte allein so intensiv wirkt liegt zum einen an dem kindlichen Ich-Erzähler, zu dem die Leser/Zuhörer schnell eine Verbindung bekommen, es liegt aber auch an den liebevoll begleitenden Eltern, die selbst nicht weg sehen und ihrem Sohn gern seine Fragen beantworten. Mehr noch sie sind es die seinen Blick auf die Obdachlosen ungehindert und offen zulassen. Ihn veranlassen zu hinterfragen, und hinzusehen, wo andere lieber schnell weg gucken. Wie oft erlebe ich es, dass Kinder ihre Eltern in der Fußgängerzone oder am Bahnhof fragen wieso der Mann/ die Frau da sitzt und die Eltern das Kind mehr oder weniger weg ziehen und nicht auf die Frage des Kindes eingehen. Das finde ich persönlich sehr schlimm und habe es selbst mit meinen Kindern so gehalten, wie die Eltern in dieser Geschichte. Kinder die klein sind, sind sehr offen und empathisch, sie zu sensibilisieren und ihre Fragen ohne Berührungsangst zu beantworten fällt vielleicht dem ein oder anderem nicht so leicht. Vielleicht aus Angst das Falsche zu sagen und nicht weil man das Thema nicht vertiefen möchte. Diese Geschichte findet Worte wo der ein oder andere keine Worte findet oder unsicher ist. Sie sensibilisiert auf eine besondere Weise, in dem sie durch die anfängliche Naivität des Jungen und der Vorstellung des Sternenhimmel-Guckens auf amüsante, fantasievolle Weise in eine nicht so romantische Realität  führt und mit Freundschaft, Mitmenschlichkeit und einem positiv belegtem Traum endet, der schnell auch zum Traum der kleinen Leser/Zuhörer führt.
Das Buch regt an über Obdachlosigkeit nachzudenken und inspiriert selbst Hilfsprojekte ins Leben zu rufen. Jeder kann helfen. Ganz einfach in dem man nicht weg guckt sondern die Menschen bewusst wahr nimmt, keine Scheu hat mit ihnen (wenn es sich ergibt) ins Gespräch zu kommen. Aus Unsichtbaren, Sichtbare machen, ihnen eine Lobby geben und nicht als Abschaum der Gesellschaft zu betrachten, das ist schon unglaublich viel. Was man noch tun kann, das hat eine Gruppe Grundschulkinder meiner Lesegruppen einmal für sich zusammen getragen.  Man könnte sich bereits bestehenden Hilfsprojekten anschließen, in einer Suppenküche arbeiten. Selbst Spenden sammeln z.B. durch einen Flohmarkt. Man kann versuchen mit Obdachlosen ins Gespräch zu kommen, sie erzählen lassen, vielleicht fragen ob sie auch ein Eis oder einen Kaffee, ein Brötchen etc. möchten und dazu einladen.
Sicherlich fällt jedem ganz viel ein was man tun könnte. Egal was man tut, wichtig ist nicht weg zu gucken, zu helfen wenn man sieht, das Hilfe gebraucht wird.
Hinter jedem Menschen, egal ob in einem Haus lebend oder auf der Straße, steckt ein Schicksal, ein Leben, das mal gut und mal schlecht ist. Wir sollten nicht Menschen verurteilen, die auf der Straße leben und ihnen mit Vorurteilen gegenüberstehen. Wir wissen nichts über das Schicksal der Menschen und zu sagen, sie sind faul, dumm oder ...... ist absolut nicht angebracht. Hinter jedem Menschen steht eine Geschichte, die das Leben geschrieben hat, das darf man einfach nicht vergessen.
Schaut hin, lernt die Menschen kennen, das ist die Botschaft dieser wunderbaren Geschichte, die in keinem Kindergarten, keiner Grundschule, Bibliothek oder auch Kinderzimmer-Buchsammlung fehlen sollte.