Unsere Lieblingsbücher

Zähnchen, Zähnchen, auf das Dach!

 

Bildquelle: Edition Bracklo
Zähnchen, Zähnchen 
auf das Dach!
von Liu Xun
aus dem Chinesischen von Leonie Weidel
36 Seiten
gebunden Leineneinband mit Prägung
1. Aufl. Juli 2019
ISBN 978 3 946986 05 8
Edition Bracklo
22,00€


Eine zauberhafte
 Milchzahn-Wackelzahn Geschichte
über eine chinesische Tradition
aber vor allem auch eine Geschichte über den Wandel der Zeit
ein Bilderbuch auch für Erwachsene
ein Bilderbuch über eine andere Kultur
Ein Bilderbuch über das Leben
unglaublich schön erzählt und illustriert
ein Bilderbuchschatz
für Kinder ab 4-5 Jahren
Es gibt Bilderbücher, die faszinieren kleine Kinder genauso wie Erwachsene, weil sie sich von dem abheben was man sonst so kennt.
Es gibt Bilderbücher deren Cover so ungewöhnlich, so fantasievoll ist, dass man die Augen gar nicht mehr lösen kann.
Es gibt Bilderbücher da macht das Cover neugierig auf das, was es innen zu entdecken gibt, auch wenn man wie im Fall jüngerer Kinder gar nicht weiß um was es in der Geschichte gehen wird. Es gibt Bilderbücher, da liest man den Titel und hat gleich eine Vorstellung davon, was einen erwarten könnte. Es gibt Bilderbücher...... Ich könnte diese Liste endlos weiterführen, denn jeder empfindet beim ersten Blick auf ein Cover etwas. Das Cover, die Coverillustration ist es, die uns entscheiden lässt, ob wir Interesse an dem Buch haben oder nicht. Eventuell spielt auch der Titel bei uns Erwachsenen noch eine Rolle, um unsere Neugierde zu wecken. Bei Kindern ist es nur der visuelle, optische Eindruck, der die Entscheidung beeinflusst.
Bei diesem Bilderbuch trifft alles irgendwie zu.
Doch wie ist das jetzt genau mit der Erwartungshaltung? Sollten wir gleich immer eine Erwartungshaltung haben? Sollten wir unsere Entscheidung, ob uns ein Buch gefällt oder nicht wirklich von diesem ersten Eindruck bestimmen lassen?
Ihr möchtet wissen, wieso ich diese Gedanken vor die Buchvorstellung setzte?
Ganz einfach, ich möchte euch ermutigen in Buchhandlungen zu gehen, in jedes Bilderbuch hineinzusehen, hineinzulesen, es zu entdecken, bevor ihr ein Urteil trefft, denn es gibt Bilderbücher, die halten ungeahnte Überraschungen bereit. Die entführen euch in andere Welten, über die ihr euch vielleicht noch nie wirklich Gedanken gemacht habt. Die lassen euch staunen, die berühren euch, die verzaubern...... .  Ein Schatz muss entdeckt werden, liegt oft im Verborgenen. Denkt bitte daran, wenn ihr das nächste Mal eine Buchhandlung betretet. Lasst euch Zeit, geht auf Schatzsuche und mit etwas Glück findet ihr auch diesen Schatz, den ich euch heute vorstellen möchte.
Ein echter Bilderbuchschatz!
                            Die Künstlerin Liu Xun                                       Niuniu und ihr Opa                                                      
Ich möchte euch mit auf meine Reise, (meine Schatzsuche) in das Bilderbuch nehmen und hoffe ihr erliegt dem Zauber des Buches genauso wie ich.

Ich suchte Bilderbücher zum Thema Zahn.
Und "Zähnchen, Zähnchen auf das Dach!" sprach mich sofort an.
Das Bild des Kindes mit einer Zahnlücke vor einem Fischbecken machte mich neugierig. Dass die Künstlerin hinter diesem Buch Liu Xun hieß, ließ mich an China denken, in Kombination mit der Coverillustration und dem Titel dachte ich sofort an ein chinesisches Milchzahn-Ritual und natürlich war ich neugierig auf die Geschichte.
Ja, ich hätte jetzt noch das Buch wenden und die kurze Inhaltsangabe auf dem rückwertigen Cover lesen können aber wieso? Sollte ich mir die Freude am Entdecken nehmen lassen?
Oft verrät eine solche Beschreibung schon so viel. Das wollte ich nicht.
Ja und wenn ihr jetzt weiterlest, ist das eigentlich auch schon zu viel, aber ich würde mich freuen, wenn ihr mir weiter folgt, mit mir auf die Reise geht. Ihr werdet staunen was euch erwartet.  Die Magie der Geschichte allerdings, die kann ich euch auf dieser Reise nicht vermitteln, die könnt ihr nur selbst bei euerer eigenen Reise durch die Geschichte erleben.
Schon die ersten Worte die ich laß fingen mich ein. Ich liebe Ich-Erzähler-Geschichten und die Kinder auch. Sie sind so nahbar. Man schließt sofort Freundschaft mit dem unbekannten Gegenüber vor allem dann, wenn man von der wundervollen Erzählweise berührt wird. Die kleine Ich-Erzählerin ist Niuniu. Ihren Namen erfahren wir allerdings erst viel später.
Niuniu erzählt von ihrem Traum in der Nacht und von dem etwas seltsamen Gefühl in ihrem Mund als sie aufwacht. Einer ihrer vorderen Schneidezähne war herausgefallen. Er hatte schon lange gewackelt und ihr Großvater hatte ihr erzählt, dass man den ersten Milchzahn, der einem ausfällt, so schnell wie möglich auf das Dach werden sollte. "Dann wächst man und wird später groß", hatte er gesagt.
Also sprang Niuniu auf, um zu ihrem Großvater zu holen, um mit ihm den Zahn auf das Dach zu werfen. Dich der Großvater war nicht da. Da viel der Kleinen ein, das ihr Opa an diesem Tag zum Haareschneiden gehen wollte also lief sie zum Frisiersalon.
Niuniu nimmt uns mit auf ihren Weg. Sie erzählt so atmosphärisch, dass man das Gefühl hat mit ihr durch die Gassen zu laufen, die noch ganz ruhig, fast schon verschlafen wirken. Die atmosphärische Schilderung in Kombination mit der kindlichen Fantasie und den Illustrationen, die sowohl das ruhige Sein der Gassen als auch die Fantasie der Kleinen einfangen ziehen den Leser so in Niunius Welt das man vergisst das man in ein Buch schaut. Der Illustrationstil ist einfach unglaublich. Sie beschreibt es in einem Nachwort selbst so:
".....Meine Aquarell-Farben streichen die Gassen in Grau, dann wieder ist mir der Bleistift zur Hand, um die Textur und Farbzusammenstellung der Mauer zu verstärken. Die hellen Farben in jedem Bild sind wie eine große Schwester, die ein rotes Kleid trägt. Die Leser können ihren Schritten folgen, die Szene in der Gasse mitverfolgen und spüren......" Und genauso ist es. Man spürt die Stimmung in den Gassen durch die Niuniu läuft. Niuniu lässt uns durch ihre Erzählung dabei sein. Sie erzählt von den Menschen, die ihr begegnen und die wir so kennenlernen, sie lässt uns spüren, wie in dem verschlafenen Ort langsam das Leben erwacht, die Gassen sich füllen. Sie lässt uns den typischen Alltag der Menschen sehen und mit ihrer wundervollen Art zu erzählen schafft sie es sogar das wir Geräusche hören, dass wir nicht nur über die begleitenden Bilder in Kombination mit der Schilderung der Kleinen das Gefühl haben mit ihr zu gehen sondern  auch das immer quirlig werdende Leben hören. Das Stimmengewirr, das Lachen der Kinder, das Tuscheln der Frauen., das Quitschen eines Tores, das gerade aufgedrückt wird, ja vielleicht sogar das leise Surren einer Klimanalage oder das Rattern einer Nähmaschine.
Wir lernen Menschen bei ihren unterschiedlichsten Tätigkeiten kennen. Niuniu kennt sie alle und vielen erzählt sie auf ihrem Weg von der Neuigkeit, dass ihr Milchzahn herausgefallen ist.

Wir Erleben das typische Bild eines kleinen Ortes, oder Stadtteils, in dem sich das Leben tagsüber vor den Häusern abspielt. Chinesisches Leben, chinesische Kultur. Alltag wie wir ihn hier nicht kennen, spielt sich unser Leben doch meist hinter den Türen in den Häusern ab. Hier ist alles offen, auch die Türen. Jedes einzelne Bild erzählt eine Geschichte und bietet so viel Raum für eigene Gedanken, eigene Fantasie. Wir sind gleich versucht Geschichten zu erfinden. Geschichten über und mit den Personen auf dem Bild. Alles ist so liebevoll und realistisch eingefangen und trotzdem ist durch den Schleier des Aquarells eine Weichheit zu spüren, die fasziniert und berührt. Es ist wirklich ein unglaubliches Stimmungsbild was den Betrachter erwartet.
Der Milchzahn, die Suche nach dem Opa ist nur der rote Faden einer ganz anderen zweiten Geschichte, denn all das, was wir auf dem Weg zum Friseursalon und später noch weiter bis zum Brunnen erleben nehmen wir tief in uns auf. Wir sind durch die Gassen gelaufen, wir haben die Menschen getroffen, vielleicht sogar mit ihnen ein paar Worte gewechselt. Wir sind schon längst keine außenstehenden Betrachter mehr, sondern Mitlaufende, Miterlebende. 
Niuniu findet den Großvater im Laufe der Geschichte und beide gehen durch den nun sehr lebten Ort zurück nach Hause, um den Milchzahn aufs Dach zu werfen, so wie es Niunius Vater schon gemacht hat.
Auf dem Weg kommen sie immer wieder an Häusern vorbei, an dessen Wänden ein großer roter Kreis mit einem Schriftzeichen gemalt ist.
Die Kleine findet das gar nicht schön. Es wirkt, wie eine Schmiererei und damit hat sie wirklich Recht. Schön sieht das nicht aus. Ihr Opa weiß, was es mit dem Zeichen auf sich hat. Jedes Haus mit diesem Zeichen wird es bald nicht mehr geben. Sie werden abgerissen. Die kleinen vielleicht etwas verfallen wirkenden Häuser, die den Charme der Gassen ausmachen müssen, weichen, um neuen großen Häusern Platz zu machen, in denen dann viele Menschen auf engstem Raum leben werden. Hinter einer Mauer kann man schon erkennen, wie sich das Stadtbild verändern wird. Die kleinen Gassen mit dem Leben, das sich vor der Haustür abspielt, wird es schon bald nicht mehr geben.
Niuniu kann sich das nur schwer vorstellen und hat doch eine Vorstellung davon was passiert.  Das der Großvater besorgt auf die Zukunft und die Veränderungen blickt können wir uns denken. Die Kleine hingegen, mit ihrer kindlich naiven Art und natürlich den Gedanken bei ihrem Milchzahn hat hingegen keine Vorstellung davon, wie sich das Leben verändern wird.
Gemeinsam mit ihrem Opa wirft sie den Milchzahn auf das schon mit Gras bewachsene Dach. Das alte Haus wird fortan auf den Zahn aufpassen erklärt ihr der Großvater. "Niemand in unserer Familie liebt Kinder mehr als das alte Haus. Es behütet jeden kleinen Grashalm.......... und es wird auch auf den kleinen Zahn unserer Niuniu aufpassen....." sagt er .


Und er erzählt noch weiter. In seinen Worten werden die Häuser fast zu Menschen. Zu Hütern, zu Beschützern, zu etwas, was Seele hat, zu einem Freund. 
Und Niuniu versteht das ein Haus nicht nur ein Gebäude aus Stein ist.
"Altes Haus, bitte pass unbedingt gut auf meinen Zahn auf." sagt sie
Es sind die letzten Worte der Geschichte, die und still werden lassen.
Still weil wir weiterdenken. Weil wir ahnen, dass vielleicht auch Niunius Haus eines Tages weichen muss. Platz machen für etwas Neues.

Liu Xun schließt ihr Nachwort mit folgenden Worten ab:
" ...Niuniu verliert ihre Milchzähne und bekommt neue, sie ist nun ein großes Kind und wird sicher gut auf die kostbaren Erinnerungen der alten Gassen aufpassen. Ganz so, wie auch das alte Haus bestimmt gut auf ihren Zahn achtgeben wird."

Das Nachwort, was wir den Kindern oft nicht mit vorlesen ist unglaublich berührend und faszinierend. Ihr solltet es etwas älteren Kindern vielleicht ab etwa 5 Jahren unbedingt mit vorlesen.
Darin erfahrt ihr wie es überhaupt zu dem Buch gekommen ist, ihr erfahrt etwas über die Künstlerin, ihre Art zu zeichnen und die Gedanken zur Geschichte. Es ist genauso bewegend, berührend geschrieben wie die Geschichte.

Hättet ihr gedacht, dass sich hinter dem Titel "Zähnchen, Zähnchen, auf das Dach!" so eine wundervolle Geschichte, so eine Erlebnisreise verbergen könnte, in der ihr ein Stück chinesisches Kleinstadt, oder auch Dorfleben miterleben dürft. Hättet ihr beim Eintreten in das Buch gedacht, dass ihr so mit in die Geschichte genommen werdet, dass ihr später das Gefühl habt, ihr wärt wirklich mit dabei, wirklich da gewesen zu sein?

Dem ein oder anderen mag das Thema Milchzahn etwas zu kurz kommen, doch das hier ist eben nicht nur eine Milchzahn-Geschichte. 
Nuiniu erzählt sehr schön wie sie schon lange darauf gewartet hat, dass ihr Wackelzahn ausfällt. Sie erzählt vom Zähneknirschen in der Nacht, von dem leichten blutigen Geschmack beim Aufwachen und ihrer Freude, dass der Zahn endlich ausgefallen ist und wir erfahren welches Ritual der Opa seiner Enkelin vermitteln möchte. Das Zähnchen auf dem Dach das Beschützen des Daches, das Wachsen und Großwerden beinhaltet ganz viel. Zusammengefasst erleben die Kinder ein chinesisches Milchzahn-Ritual. Aber erfahren auch etwas von Nuinius Leben. Ein Mehrwert der das Buch so besonders macht.

Liu Xun schafft es mit ihrem Buch einen zu entführen. Die Rolle des Milchzahns ist zwar präsent aber die vielen anderen Eindrücke sind präsenter. Sie ist wirklich eine Zauberin. Eine Zauberin mit Stift und Papier und das in doppelter Hinsicht. Bild und Text vereinen und beamen den Leser für die Momente mit dem Buch nach China. Zu Niuniu, in die kleinen Gassen mit den vielen vertraut werdenden Menschen und Häusern. Sie schafft es eine Botschaft zu vermitteln. Sie schafft es, dass wir den Wert dessen, was wir haben, sehen, und mahnt vor scheinbar guten Neuerungen. Der Wert des Alten wird oft vergessen, doch glaube ich gibt es einen Wandel in unserer Gesellschaft. Das immer höher, immer größer, immer mehr ist nicht mehr für jeden das Richtige.
Vielleicht kann dieses Buch dazu beitragen den Wert des Alten zu erkennen. Vielleicht setzt bei dem ein oder anderen ein Denkprozess ein.
Ihr seht, eine Geschichte für Kinder ist auch eine Geschichte für Erwachsene.
Liest man mit den Kindern das Buch und kommt anschließend mit ihnen ins Gespräch, dann erlebt man erstaunliches. Zum einen geht es den Kindern meist genauso wie den Erwachsenen, sie hatten das Gefühl mit Niuniu auf die Reise gegangen zu sein, sie hatten zeitweise vergessen das es um den Milchzahn geht und waren viel mehr mit den Gedanken um die Häuser, die abgerissen werden sollten und die Menschen, die dann erst einmal ihr Zuhause verlieren würden beschäftigt.
Sie fanden die Milchzahngeschichte und die Tradition zwar schön aber die Häuser, die Menschen, die waren es in ihren Gedanken für weitere Gedanken sorgten.
Und oft fragten die Kinder: "Wieso muss man etwas abreißen, nur weil es alt ist. Man kann es doch auch reparieren....."

Bleibt zu wünschen, dass sie Liu Xuns Geschichte für immer in ihren Herzen tragen und sich für ihr Leben daran ein wenig orientieren.

Liebe Liu Xun!
Danke für diese wundervolle Geschichte,
für dieses wundervolle Buch

p.s. Wem immer dieses Buch genauso gut gefällt wie mir, überlegt einmal wie ihr die Geschichte weiter tragen könnt.
Sie ist zu Schade um nur im Kindergarten gelesen zu werden weil es ein Bilderbuch ist.
Ich nehme das Buch mit in die Seniorengruppen.
In den Schulen kann es gut gelesen und darüber gesprochen werden.
Vielleicht regt es auch an einmal in die chinesische Kultur einzutauchen.
Vielleicht macht man sich gemeinsam mit den Kindern auf Spurensuche in der Umgebung.
Wo musste ein Haus einem Neubau weichen, welche Veränderungen hat das im Ortsbild gemacht.
Ich denke jeder findet etwas um den Gedanken weiter zu spinnen.

In diesem Sinne wünsche ich euch eine spannende eigene Reise durch Liu Xuns Bilderbuch.