Unsere Lieblingsbücher

Wer hat schon eine normale Familie

Bildquelle: Carl Auer Kids
Wer hat schon eine 
NORMALE Familie?
eine Geschichte von Belinda Nowell
mit Bildern von Misa Alexander
38 Seiten
1. Auflage 15. November 2017
ISBN: 978-3-8497-0203-8
Carl Auer Kids
15,95


Zum Thema Familie und Familienmodelle
Vielfalt und Anderssein
Vorurteile, Ausgrenzung, Identitätsfindung, Toleranz und Ich-Stärkung
für Kinder ab 4 Jahren

Der Carl Auer Verlag gibt sehr besondere und besonders wertvolle Bilderbücher heraus, die sowohl Kindern als auch Erwachsene in vielen Lebensphasen hilfreich zur Seite stehen können. Auf Grundlage des systemisch-therapeutischem Ansatz erzählen die Bücher Geschichten, die Probleme von Kindern thematisieren und Lösungen bereithalten. Damit nicht genug legt der Verlag auch Wert auf eine besondere künstlerische Gestaltung. Die Illustrationen sind immer sehr nah am Thema und visualisieren die Handlungen ganz wundervoll und intensiv.
Hier nun erleben wir eine Geschichte, die zum Nachdenken anregt, Betroffenen Mut macht und zeigt wie bunt und vielfältig unsere Welt, unser Leben ist.
Obwohl ich viel mit Kindern zu tun habe und auch meine Familie besonders ist macht man sich selbst darüber oft gar keine Gedanken weil man den Alltag als "besondere" Familie selbstverständlich lebt und sich nicht ständig sagt das man "besonders" ist. Doch was ist eigentlich 
NORMAL, was BESONDERS ?
Wieso müssen wir das überhaupt thematisieren.
Kinder sind im Umgang mit ihren Altersgenossen manchmal grausam. Doch hat nicht auch diese Grausamkeit einen Grund?
In unserer Geschichte lernen wir Alex kennen, der seinen Schulkameraden ganz stolz mitteilt, das er eine kleine Schwester bekommen hat. Das allein ist ja nun nicht so besonders doch Alex kleine Schwester ist schon ein Jahr alt und ist als Pflegekind in seine Familie gekommen. Auch das  ist für die meisten Kinder kein Grund Alex auszulachen oder ihm verbal weh zu tun, wäre da nicht Jimmy Martin, der sehr negativ reagiert. Erst schreit er, dass Babys langweilig sind, dann bekommt Alex zu hören, das es ja nicht eine echte Schwester ist und zum Schluss behauptet Jimmy Martin sehr wütend, dass Alex Familie ja gar keine NORMALE Familie sei. ( Jimmy mag es nicht wenn andere sich freuen. Eine Information, die später noch wichtig wird!) Jimmy Martins Wutausbruch tut Alex sehr weh. Er wird traurig denn nicht nur seine neue kleine Schwester ist ein Pflegekind. Alex selbst ist auch eines. Der sonst so fröhlichen Jungen wird sehr, sehr traurig. Seine Mutter erkennt sofort die Traurigkeit und Verzweiflung ihres Kleinen, nimmt ihn fest in den Arm und gibt ihm so erst einmal ein sicheres, warmes Gefühl das Alex stärkt und ihm Mut macht sich zu öffnen. Er fragt seine Mutter ob sie wirklich nicht NORMALE  sind und damit beginnt der zweite Teil der Geschichte, denn Alex Mama hat eine ganz wundervolle Idee. Sie erklärt ihrem kleinen, traurigen,   zweifelndem Sohn, dass sie ganz und gar nicht normal sind aber was ist schon normal? Sie holt ein Klassenfoto von Alex und überlegt mit ihm, wie die Kinder in seiner Klasse zusammenleben und sie stellen fest, das  jedes Kind eine ganz eigene, BESONDERE Familien-Konstellation hat, die wir als Leser und Betrachter nun erleben dürfen. Dabei lernen wir zuerst das Kind mit einer jeweiligen besonderen Stärke und dann die Familienzusammenstellung kennen in der es lebt. Da gibt es eine Regenbogenfamilie mit zwei Papas genauso, wie eine Flüchtlings-Großfamilie ohne Papa dafür aber mit gleich zwei Onkeln, ein Mädchen das mit ihrem Papa zusammen lebt oder auch ein Kind, das bei seiner Oma lebt. Viele verschiedene Familien mit netten Mitgliedern, vor allem aber mit einem Kind aus der Klasse was etwas gut kann und von den anderen Mitschülern gemocht wird, so wie es ist. Ja und dann ist da ja auch Jimmy Martin, der mit Alex in eine Klasse geht.  Alex lebt mit Mama, Papa und Schwester in einer Familie auch wenn er und seine kleine Schwester "NUR" Pflegekinder sind leben sie dennoch in einer für Außenstehenden NORMALEN Familie, wenn man nicht weiß, das es Pflegekinder sind würde niemand sagen es sei eine besondere Familie. Alex Mama weiß, dass Jimmy Martin allein mit seiner Mutter lebt weil der Papa fort gegangen ist. Könnte es vielleicht sein, dass Jimmy der Vater fehlt und deshalb traurig ist? Könnte es vielleicht sein, dass Jimmy Martin traurig ist, dass er keine, in seinen Augen, NORMALE Familie hat? Vielleicht brauchte man ihm ja einfach nur mal sagen, dass es die normalste Sache der Welt ist, das jede Familien anders ist? Wenn ihr wissen wollt in welchen unterschiedlichen Familienmodellen die Kinder in Alex Klasse leben und was Alex versucht um mit Jimmy Martin Frieden zu schließen dann besorgt euch dieses wundervolle Buch, das zum nachdenken anregt und viel Bewusstsein für unterschiedliche Lebensformen schafft.
So lange es von den Kindern nicht thematisiert wird, wie hier in dieser Geschichte der Vorfall zwischen Alex und Jimmy Martin, kommt man vielleicht gar nicht auf die Idee darüber nachzudenken in welchen Familienkonstellationen andere zusammen leben aber eigentlich macht es ganz viel Spaß einmal darüber nachzudenken und zu erkennen wie bunt die Welt um uns herum ist und bei diesem Nachdenken erleben wir vielleicht, das uns gar nicht so bewusst war in welch BESONDEREN Familie wir leben.
Ehrlich gesagt, wenn ich in meiner Arbeit mit Kindern nicht des Öfteren über ihre Familien gesprochen hätte, hätte ich mir gar keine Gedanken darüber gemacht, das auch ich in einer BESONDEREN Familie lebe und das Familie oft auch einem Wandel unterlegen ist. Das ich in einer wechselnden BESONDEREN Familie lebe ist meinem 14 jährigem Sohn beim lesen dieser Geschichte bewusst geworden.
"OH man! Hat er gerufen. "Weißt du eigentlich wie besonders unsere Familie ist?" und dann haben wir uns zurück erinnert.
Lange vor seiner Geburt gab es seine 
*Mama in einer Ehe mit Mann und vier Kindern
dann 
*trennte sich Mama von dem Mann und lebte mit 4 Kindern alleine, bis sie einen neuen Mann kennenlernte den sie heiratete. 
* Und so gab es plötzlich eine Familie mit einem Stiefvater und einem leiblichen Vater und dessen neuer Freundin.
*Damit nicht genug bekam die  Mama mit dem neuen Mann ( seinem Papa) drei Kinder. Einer davon  war eben mein, nun nachdenkender Sohn.
*Also eine Patchworkfamilie.
*Die vier großen (Halb) Geschwister ( die nie als solche bezeichnet werden) gehen nach und nach aus dem Haus, leben ihr eigenes Leben weil sie viel älter sind.
*Plötzlich gibt es "nur" Vater, Mutter und drei Kinder und dennoch ist es keine NORMALE Familie weil es ja die anderen gibt.
Wer uns zu dieser Zeit  neu kennenlernte und nicht um die vier Großen weiß würde jetzt vielleicht sagen eine klassische NORMALE Familie.
*Mein Sohn ist Asperger Autist und bekommt oft zu hören "Du bist nicht normal". Er weiß das er besonders ist und genau richtig wie er ist.
Ihm stellt sich die Frage ist es eine NORMALE Familie wenn ein BESONDERES Kind darin lebt?
Manche würden vielleicht auch hier sagen es ist keine NORMALE Familie. Andere würden sagen, natürlich ist es eine NORMALE Familie.
Jetzt Stand heute ist das Leben meines Sohnes wieder anders.
*Der große Bruder ( aus der verbliebenen Kernfamilie) ist zum Studium ausgezogen, die große Schwester nur ab und zu zuhause und oft bei ihren Freund und seit ein paar Wochen ist auch kein Papa mehr da, der ist gestorben. Viel zu früh, für einen 14 Jährigen.
*Jetzt leben ein 14 Jähriger Junge und seine Mama in einem großen Haus , mehr oder weniger alleine.
Mein Sohn schüttelt den Kopf und sagt:
"In den Augen der anderen sind wir jetzt auch keine NORMALE Familie."
Wenn wir jetzt zu Opa ziehen und seiner neuen Frau, weil die Oma gestorben ist und der Opa neu geheiratet hat dann...?
Das weiter zu denken möchte er nicht denn dann wäre es eine noch mehr Kuddelmuddelfamilie als vorher.
"Wir sind eine kunterbunte Kuddelmuddelfamilie"
Eigentlich schön, oder?
Und dann sagt mein Sohn: " Mama gibt es eigentlich NORMALE Familien? Jeder hat doch irgendwie Kuddelmudel in der Familie, weil jeder anders lebt und viel im Leben passiert."
Wie recht er hat!
Wie recht er hat, dass kann jeder für seine Familie durchspielen und wird erkennen das unser Leben heute NORMAL ist so wie es ist, in unterschiedlichen Familienkonstellationen, die ganz stark von vielen Faktoren beeinflusst sind, die das Leben einfach schreibt.
Die NORMALE Familie, so wie es sie in den Köpfen bestimmter Generationen gegeben hat gibt es heute nicht mehr, aber wenn wir ehrlich sind hat es sie nie wirklich gegeben. Wenn wir an die vielen Familien bestehend aus Mutter und Kindern denken, die nach dem Krieg versuchten ihr Leben neu zu finden weil der Vater im Krieg geblieben war. Wo die Mutter vielleicht später noch einmal heiratete...… Auch sie waren keine NORMALEN Familien. Immer dann wenn ein Elternteil stirbt und das gab es früher wie heute, gerät das scheinbar NORMALE schon aus den Fugen.
"Wenn man richtig darüber nachdenkt wird einem schwindelig!" sagte mein Sohn und er hat recht. Und nicht nur damit sondern auch mit seine abschließendem Fazit: "Also hören wir doch einfach auf das Wort NORMAL zu gebrauchen. Ist doch ganz einfach, oder?"
Wenn ein Buch soviel Gedanken auslösen kann, wenn eine Geschichte so viel Nachdenken ins Rollen bringt ist das doch toll oder?
Das schöne an dem Buch, es gibt so unglaublich viele Möglichkeiten mit Kindern über dieses Thema zu sprechen und noch dazu mit Kindern ganz unterschiedlichen Alters.
Es ist ein Bilderbuch mit einer intensiven Botschaft und noch intensiveren Illustrationen, die uns in Alex Gefühlswelt mitnehmen und die Vielfalt von Familien visualisieren. Dabei sind sie realistisch, nicht verkitscht, so ansprechend, dass nicht nur kleine Kinder sich in ihnen wieder finden sondern auch größere und große Kinder, was wiederum einen Einsatz in Kindergarten und Schule möglich macht. Aus dem Kontakt mit der Zielgruppe mit der man in Interaktion tritt ergeben sich so die unterschiedlichsten Möglichkeiten nach der Buchbetrachtung Gespräche zu führen oder kreativ zu werden.
Neben Gesprächen über die eigene Familie des Kindes können Familien gemalt oder in Collagenstil gebastelt werden. Kernfamilie und Kuddelmuddelfamilie wie weit man hier gehen möchte ist jedem selbst überlassen, so bunt und vielfältig Familienleben ist so vielfältig und bunt die Möglichkeiten mit diesem Buch zu arbeiten.
Besonders toll finde ich dieses Buch aber für Familien, es gemeinsam zu entdecken und über Familie zu sprechen macht sehr viel Freude und egal in welcher Familienkonstellation man zusammenlebt zeigt es das es ganz NORMAL ist so wie es ist.
Bunt und vielfältig.
Ist das nicht toll!