Unsere Lieblingsbücher

Flasche von Soheyla M.Sadr

Bildquelle: Kilian Andersen Verlag
Flasche
 von Soheyla M.Sadr
140 Seiten
1. Aufl. 2018
ISBN: 978-3-9813623-8-1
9,95€
https://www.kilian-andersen-verlag.de/flaschevon-soheyla-m-sadr/



Ein besonders Buch, über die Kraft von Wörtern, das einen vom ersten Moment an fesselt
Ein Mut-Mach-Buch
Ein Plädoyer für das Leben 
für Kinder ab 10 Jahren und Erwachsene


Selten hat mich ein Buch so gefesselt, wie dieses von Soheyla M. Sadr.
Und immer wenn mich ein Buch so beeindruckt fällt es mir unglaublich schwer es vorzustellen. Man möchte viel erzählen, viele seiner Gedanken mitteilen und dennoch soll es nicht zu viel verraten, nur neugierig machen.
In der Tat "Flasche" ist so ein Buch, das man am liebsten nur mit den Worten :
"Lies es, es ist so wunderschön und gibt sooo unglaublich viel"
 jemandem in die Hand legen möchte. In die Hand und ans Herz besser gesagt.
Aber so einfach mach ich es mir dann doch nicht. Auch auf die Gefahr hin, dass ich zu viel verrate.
Bei "Flasche" handelt es sich nicht, wie auch das Cover vermuten lässt um eine, vielleicht besondere, Flasche sondern um ein Kind.  Ein Kind, dass uns an seinem, gerade sehr schwierigen Leben teilhaben lässt. Ein Kind, dass viel in seinem Leben, aus den verschiedensten Gründen, mit sich selbst ausmacht. Aber auch  wenn man immer alles nur mit sich selbst ausmacht braucht man irgendwann ein Ventil oder noch besser jemandem dem man sich anvertrauen kann. Und da kommt "Anton Gundermann" ins Spiel. Und mit ihm ein Aspekt, der das Buch so ungewöhnlich, so besonders macht, denn unsere Protagonistin ( diese Form der Ansprache wähle ich hier erst einmal ohne zu verraten ob wir es hier mit einem Jungen oder Mädchen zu tun haben) nimmt uns nicht nur mit in sein Leben sondern vermittelt uns so ganz nebenbei, zu Beginn einiger Kapitel auch Wissen über die Heilkräfte von Kräutern, so wie der Gundermann, der die Lebenskräfte wieder wecken kann. Oder der Lavendel der auch als "Seelenpflanze" bezeichnet wird. Der Schachtelhalm hilft zu strukturieren und zu denken, der Wermut ist ein Energietonikum und der Hafer hilft z:b. bei Überforderung. Dies und noch viel mehr erfahren wir mehr oder weniger so ganz nebenbei.
Doch der Gundermann, mit dem ich gerade begann ist die Pflanze die "Flasches" Weg begleiten wird. Flasche liebt es in die Kinderbücherei zu gehen. Dort gibt es regelmäßig Lesungen für Kinder und auch wenn das meistens für Jüngere ist oder sie die Geschichte schon kennt geht sie immer hin. Es ist zu einem Lebenselexier geworden. Die Lesestunden  genauso wie die Bücher und in einem der Bücher, über Heilpflanzen, hat sie etwas über den Gunderman gelesen, das sie beeindruckte. "Früher haben sich die Leute, wenn sie Kummer hatten, zum Gundermann auf die Wiese gesetzt und dieser kleinen Heilpflanze von ihren Problemen erzählt:
 " Gundermann, du lieber Mann, hier trag ich dir mein Leiden an."
So haben sie damals gesagt."
Und so stellt sich Flasche den Gundermann als kleines Zwergenmännlein vor den sie Anton nennt. Anton Grundermann wird sie fortan in Briefen erzählen was sie bewegt.
Und so erfahren wir durch die heimlichen Briefe an Anton, dass Flasches Leben so gar nichts von dem normalen Leben eines Kindes mehr hat. Angefangen hat alles mit der Krebserkrankung ihres geliebten Vaters, der ihr auch die Augen für die Schönheiten und Wunder der Natur geöffnet hatte. Regelmäßig sind sie in den Wald gezogen um die Natur zu erleben, zu genießen. Vater -Kind -Tage, die in Erinnerung bleiben und an denen sie uns im Laufe der Geschichte immer wieder teilhaben lässt. Zumeist schöne, sehr bewusste  Erinnerungen. Nach langer Krankheit stirbt der Vater. Ein großer Verlust für die Familie. Jeder geht mit seiner Trauer anders um. Ein gemeinsames trauern findet nicht wirklich statt. Die Mutter muss nun für den Lebensunterhalt der Kinder  sorgen. Das Geld reicht nicht um die Wohnung zu halten. Die kleine Familie muss umziehen. In eine Gegend weit weg, in eine Gegend, in der die sozialen Verhältnisse der meisten Bewohner nicht rosig sind. Neue, fremde Umgebung, neue Schule und der Tod des geliebten Vaters, das ist schon sehr viel was eine Kinderseele erleben muss. Flasche hat viele Ängste aufgebaut. Angst im Dunklen, Angst vor...., Angst vor.... . Eigentlich ist es auch Angst vor dem Leben, das wird in jedem Satz den sie uns deutlich. Es ist Resignation, Trauer, Angst und immer wieder der aufflackernde Wunsch, die Hoffnung, das es das doch noch nicht gewesen sein kann. Sie bekommt psychologische Betreuung doch das ist nicht das was wirklich hilft. Dazu kommt das sie in der Schule einen schweren Stand hat . Sie ist anders als die anderen.
Ihre einzige wirkliche Freunde besteht in den Vorlesestunden in der Kinderbücherei, die zu ihrem zweiten Zuhause geworden ist. Als sie zufällig mitbekommt, das die Lesungen eingestellt werden sollen bricht ihre ohnehin so zerbrechliche Welt wieder ein Stück zusammen. Das kann und darf nicht sein.
Ihr seht es gibt eine Menge womit sich Flasche beschäftigt, was sie zu ertragen hat.  Aber dennoch wendet sich ganz langsam, Schritt für Schritt ,und manchmal auch zunächst unbemerkt, alles zum Guten. Ich kann ruhig verraten, dass es Flasche immer besser gehen wird. Es ist nicht wie bei anderen Büchern, wo man das Happy End nicht verraten sollte, denn Flasches Geschichte hat kein richtiges Ende.  "Der Weg ist das Ziel" sagt man und wir dürfen Flasche auf ihrem Weg ein Stück begleiten. Ein Weg auf dem viel passiert, ein Weg den viele kreuzen, mal kürzer, mal länger.
Und so möchte ich hier den letzten Brief von Flasche an Anton zitieren:
"Lieber Anton! Eigentlich will ich dir noch so viel erzählen! Aber jetzt wartet erst einmal das echte Leben auf mich....... "
Und hier verrät Flasche dann auch ihren Namen. Sie versteckt sich nicht mehr sondern bekennt sich zu sich selbst. Gern hätte ich Flasches Leben noch ein wenig begleitet. Es ist mir sehr schwer gefallen, das Buch einfach so zu schließen. Ein Buch zuzuschlagen ist immer auch ein Abschied, den ich hier nicht möchte um nicht zu vergessen, das es diese Geschichte gibt. Und so steht das Buch nun aufgeschlagen auf Seite 126 / 127 in meinem Bücherregal. Der kleine Vogel fliegt in die Welt hinaus........ wer weiß vielleicht werden wir ja irgendwann noch einmal von ihr hören.
Soheyla M. Sadr lässt Flasche so wundervoll erzählen, das es trotz schwierigem Thema ein fesselndes Lesevergnügen ist.
Mit einer unglaublichen Empathie und sehr viel Einfühlungsvermögen formuliert sie jeden Satz, der uns mit empfinden, mit fühlen lässt.
Hier nur zwei kleine Beispiel wie Flasche uns an ihren Gefühlen teilhaben lässt. Im Kunstunterricht sollten sie ein Phantasiebild malen und auch wenn sie sonst gern und recht gut malte gelang es ihr in dieser Stunde nicht.." Am Ende hatte ich lauter bunte Kleckse mit einem dicken, schwarzem Rand. Mein Lehrer meinte, ich solle doch den Farben mehr Freiheit gönnen. Aber bei mir ist es nun mal so: Ich habe eine ganze Menge Chaos in mir, da tut ein bisschen Ordnung ganz gut. Sonst weiß ich manchmal gar  nicht, wo oben und unten ist....." (Seite 18).
".... Ich übe ganz viel, bei mir zu bleiben, aber immer , wenn Sachen passieren, die mir Angst machen, die mir peinlich sind oder mich traurig machen, dann schaltet mein Kopf auf Stand-by........."(Seite 19).
 
"An wen richtet sich diese Geschichte?" Werde ich oft in letzter Zeit gefragt und ich antworte:"..an alle die neugierig auf das Leben sind".
Aber das ist nur eine von vielen Antworten.
Es ist eine Geschichte, die Kindern hilft, die in ähnlicher Situation sind. Das muss nicht nur der Verlust eines Elternteils sein, das kann auch "einfach" eine neue Lebenssituation sein. Scheidung der Eltern, Umzug in eine andere Stadt, das Gefühl zu haben man ist allein auf der Welt, Mobbing in der Schule.... . Es gibt so viele Lebenssituationen, Lebenslagen die schwierig sind oder zu sein scheinen.  In Soheyla M. Sadrs Buch findet man Ansätze wie man wieder mehr Freude am Leben gewinnen könnte. Dabei ist zu sagen, dass Flasches Weg kein gerader Weg zum Glück ist. Sie erlebt und empfindet immer und immer wieder Niederlagen, ist traurig, sieht auch mal keinen Sinn mehr darin Anton Gundermann weiter Briefe zu schreiben, aber schafft es dann doch immer wieder weiter zu machen. Weiter und weiter auch wenn es schwer fällt und am Ende wird es dann doch leichter und leichter.
 
Die Geschichte, ist vielschichtig wie das Leben ebnen ist. Viele Leser, egal ob jung oder alt, werden sich irgendwo wieder finden und weil das so ist, weil das Buch so viel beinhaltet liefert  es auch die verschiedene Anknüpfungspunkte und Themen für Gespräche.
Ich würde mir wünschen, das viele Lehrer auf dieses Buch aufmerksam werden und es in der Klasse gemeinsam  lesen.
Kinder, die in gleicher oder ähnlicher Situation wie Flasche sind gibt es mehr als wir glauben. Die meisten von ihnen sind für uns "unsichtbar". Sei es, dass wir sie nicht sehen wollen oder sie sie sich bewusst "unsichtbar" machen.
Wenn wir Bücher wie dieses, von denen es leider viel zu wenige gibt, in Klassen gemeinsam lesen und besprechen, dann sensibilisieren wir für das Thema  und geben Betroffenen Mut.
 
Ich habe das Buch mit einer 8. und 9. Klasse gelesen. Es würde zu weit führen hier über die Gespräche im Anschluss zu berichten. Zusammengefasst ist zu sagen, dass die Schüler durchweg fasziniert festgestellt haben, dass auch ein scheinbar trauriges Buch, in einem innerlich etwas bewegt und man am Ende mit einem fast schon euphorischen Gefühl das Buch verlässt. Herausgearbeitet wurden die Themen, soziales Umfeld, sozialer Abstieg, Tod, Depression und die literarische Form erzählender Briefe sowie Trauerbewältigung. Wobei Trauer hier nicht nur mit Tod in Verbindung gebracht wurde sondern auch  mit Verlust,  Ängsten und traurig sein.
Viele der Schüler zogen die Verbindung zum Tagebuch schreiben. In ein Tagebuch schreibt man was einen beschäftigt. Mal Trauriges aber auch lustiges. Im Laufe der Geschichte erlebt Flasche ähnliches. Sie zwingt sich dazu auch mal nicht zu klagen sondern den Fokus auf etwas schönes zu legen.
Auch dies wurde in den Gesprächen deutlich thematisiert.
 
Eines möchte ich zum Schluss noch erwähnen.
Weiß man nicht, wer das Buch geschrieben hat, bzw. welches Alter die Autorin hat, so würde man denken, es hätte Zoe selbst geschrieben. Das ein Erwachsener so schreibt, wie ein Kind in Zoes Alter schreiben würde konnten sich die wenigsten Schüler vorstellen und zugegeben mir kam der Gedanke auch. So etwas kann man sich nicht ausdenken, so etwas muss man erlebt haben.
 

Ein großer Dank daher an die wundervolle Autorin Soheyla M. Sadr für dieses unglaublich bewegende und gebende Buch. Bitte schreiben Sie mehr Bücher dieser Art.
Es ist ein Buch, das das Leben bereichert.
 
 

Wer mehr über die Autorin und ihre fantastischen Bücher erfahren möchte sollte sich unbedingt einmal ihre Homepage anschauen!!
https://www.soheylasadr.de/über-mich/


Hier noch eine Übersicht ihrer Bilderbücher, die Soheyla M.Sadr nicht nur geschrieben sondern auch wunderschön illustriert hat.