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Ein Bauch voller Geheimnisse * in 7 Sprachen*

Bildquelle: Talisa Verlag
Ein Bauch voller Geheimnisse
von  Pim van Hest
und Nynke Talsma
28 Seiten
1. Aufl. 2018
Talisa Verlag
ISBN: 978-3-939619-64-2 
14,90€


Ein Buch über Geheimnisse, Angst , Schul- und Schamgefühle
in 7 Sprachen
für Kinder ab 3 Jahren


Diese Geschichte wird in:
Arabisch, Französisch, Polnisch, Russisch, Spanisch, Türkisch  und Deutsch erzählt

Wenn man ein Geheimnis oder Schulgefühle hat, dann ist das schon ziemlich schlimm für einen und meist legt sich das auf den Magen. Dann hat man das Gefühl der Bauch ist sooo voll, das er gleich platzt. Jeder kennt diese Situation irgendwie.
Aber muss das wirklich sein?
Die Geschichte der kleinen Moira erzählt von Situationen, die jedes Kind in ähnlicher Form vielleicht schon einmal erlebt hat.  Das besondere sie erzählt uns ihre Geschichte selbst. Lässt uns so sehr unmittelbar an ihren Schulgefühlen, ihrer inneren Zerrissenheit, dem Schamgefühl und auch ihrer Angst vor den Reaktionen der Erwachsenen teilhaben. Wir fühlen direkt mit ihr.
Ich erzählt hier ausnahmsweise mal nicht nur von der Geschichte sondern von einer unserer Vorlesestunden mit dem Buch, um zu verdeutlichen, wie bewegt die Kinder von der Geschichte sind und mit Moira fühlen.

Als sie aufwacht ist alles noch in Ordnung doch beim Anziehen einen losen Faden an ihrer Strumpfhose entdeckt. Sie zieht daran und plötzlich wird aus einem kleinen Loch ein riesengroßes.
Schnell zieht sie eine andere an und versteckt die kaputte. Als ihre Mutter ins Zimmer kommt wollte sie ihr eigentlich von dem Malheur erzählen, doch sie tut es nicht. Die Worte kommen einfach nicht heraus. Sie schluckt sie runter und schon ist ihr Bauch etwas gefüllt. Wohl ist ihr bei der Sache nicht, das sieht man deutlich doch irgendwie hat sie es einfach nicht geschafft es der Mutter zu erzählen.
Unsere Lesekinder riefen gleich: "Sie wollte nicht das die Mutter traurig ist."
Als ich sagte, dass sie sich vielleicht nicht getraut hat, aus Angst geschimpft zu werden, sagten die meisten: Ja, kann auch sein aber...... bei mir ist es so, dass ich nichts sage damit Mama oder Papa nicht traurig sind. Ich mag nicht wenn sie wegen mir traurig sind."
Es war schon erstaunlich wie viele nichts sagen würden nur damit jemand nicht traurig ist.
Moiras Geschichte geht weiter.
In der Schule kann sie sich gar nicht richtig konzentrieren weil sie immer an die Strumpfhose und ihre Mama denken muss. Wie unsere Lesekinder auch vermutet sie, dass die Mutter sehr unglücklich wäre wegen der kaputten Hose.
Die Gedanken füllen den Bauch so sehr, dass sie keinen Hunger auf ihre Birne hat, die sie fürs Frühstück mitbekommen hat. Erst einmal steckt sie sie wieder ein doch auf dem Nachhauseweg fällt ihr ein, das der Papa bestimmt sauer wäre wenn er merkt, das Moira nicht gegessen hat also schmeißt sie die Birne in den Mülleimer.
"Aber Moira weiß doch bestimmt, dass man keine Lebensmittel wegschmeißt!" ruft ein Mädchen in meine Vorleserunde, worauf die anderen auch kommentieren.
"Ja, mein Papa wär auch sauer richtig sauer. Der sagt immer Essen darf man nicht wegwerfen woanders hungern Kinder."
"Wenn ich etwas nicht mag dann nehme ich es wieder mit und sag dass ich keinen Hunger hatte, niemand ist dann böse. Man hat ja nicht immer Hunger."
.........
Moira weiß, dass sie nicht richtig gehandelt hat und hat einen Kummer, ein Geheimnis mehr in ihrem Bauch, fühlt sich noch schlechter. Eigentlich möchte sie dem Vater von der Strumpfhose und der Birne erzählen aber dann lässt sie sich von Benjamin ablenken, der mit ihr Hochzeit spielen möchte.
Das Spiel lenkt sie erst einmal ab. Es macht Spaß mit Benjamin zu spielen, sich zu verkleiden. Das sie ungefragt das Brautkleid ihrer Mutter anzieht  macht ihr anscheinend nichts aus. Doch dann passiert etwas und sie verunreinigt das Kleid. Ohne etwas zu sagen hängt sie es wieder in den Schrank zurück und wir ahnen es schon, ihr Bauch füllt sich weiter, das schlechte Gewissen nimmt zu. Als die Mutter von der Arbeit kommt will Moira ihr alles erzählen doch wieder bringt sie es nicht übers Herz.
Moiras Bauch wird immer voller und voller, was noch ihren Bauch füllt lasse ich hier aus wir können uns denken, dass es immer wieder Situationen gibt wo Moira es nicht übers Herz bringt etwas zu sagen. Doch irgendwann wird es dem kleinen Mädchen einfach zu viel. Eindrucksvoll erzählt sie uns, wie verzweifelt und auch hilflos sie sich fühlte.
Als ihre Eltern in ihr Zimmer kommen und eine völlig verstörte kleine Tochter vorfinden , sich liebevoll besorgt zu ihr setzten da löst sich die ganze Anspannung und Verzweiflung. Plötzlich sprudelt es auch Moira nur so raus. Deutlich  erleben wir in der verzweifelten Aneinanderreihung der Vorfälle was für eine Kettenreaktion das  Strumpfhosenloch-Problem ausgelöst hat. Auch Bildlich wird dies wunderbar veranschaulicht. Der Faden der Strumpfhose schlängelt sich wirr umher scheint sogar einmal ein gefräßiges Tier zu bilden der alles in sich aufsagt. ( so die Einlassung eines Lesekindes).
Liebevoll schließen die Eltern ihre kleine Moira in die Arme. Sie hatten vermutlich schon viel früher geahnt , dass Moira ein Geheimnis plagt.
Behutsam erklärt der Vater ihr, dass sie ihnen doch alles sagen kann und das es gar nicht schlimm ist wenn mal etwas geschimpft wird oder man dann als Erwachsener sauer oder traurig ist. Das man sich aber dennoch lieb hat. Viel schlimmer/ trauriger finden es die Eltern  wenn sie mit ansehen müssen wie traurig ihre kleine Moira wird mit dem Bauch voller Geheimnisse.
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Eine sehr gefühlvolle Geschichte mit sehr intensiven, ausdrucksstarken Illustrationen erzählt aus der Warte der kleinen Moira macht deutlich womit sich jedes Kind immer mal wieder beschäftigen muss.
Sag ich etwas, wenn ich etwas angestellt habe oder mir ein Missgeschick passiert ist oder nicht.
Die Reaktionen der Kinder ist immer unterschiedlich und das aus vielerlei Gründen, das wurde auch in den Gesprächen während und nach den Lesungen deutlich.
Zum einen, und das ist wohl das Wesentlichste, kommt es auf die Erfahrungen an, die das Kind schon gemacht hat. Nicht alle Eltern sind so verständnis- und liebevoll wie Moiras Eltern. Es gibt leider viel zu viele Kinder, die regelrecht Angst vor der Reaktion der Eltern haben und das leider auch zu recht. Es gibt aber auch Kinder wie Moira, die eigentlich Vertrauen zu ihren Eltern haben, wissen, dass die Eltern im Grunde nicht böse sind, die aber aus falsch verstandener Rücksichtnahme und Liebe, lieber etwas versuchen mit sich selbst auszumachen anstatt die Eltern traurig zu stimmen.
Daher empfinde ich dieses Buch in vielerlei Hinsicht eine enorme Bereicherung. Es bietet nicht nur sehr konkrete Gesprächsanlässe mit den Kindern, in denen man gezielt noch einmal über das richtige Verhalten, über die Gefühle und die Sorgen sprechen kann sondern es bietet auch die Möglichkeit einen Elternabend zum Thema zu veranstalten, in dem man dieses Buch vorliest um im Anschluss darüber zu sprechen, wie es möglich ist Vertrauen frühzeitig aufzubauen und wie man in bestimmten Situationen am besten reagiert. Wir sind alle nur Menschen. Menschen mit Emotionen und spontanen Reaktionen, die nicht immer richtig sind. Gerade deshalb weil wir als Eltern auch nur Menschen sind machen wir Fehler, das ist völlig normal. Man muss aber auch die Einsicht haben, dass man schon mal falsch reagiert und dies dann auch korrigieren.  Was letztendlich bedeutet, man muss sich für sein, vielleicht spontanes Fehlverhalten auch bei Kindern entschuldigen. Selbstverständlich mit einer Erklärung. Das schafft Vertrauen. Wenn Kinder erleben, dass Eltern nicht Fehlerlos sind aber dies auch eingestehen, dann erkennt das Kind, dass eigenes Fehlverhalten vielleicht einmal für einen Moment traurige oder saure Eltern hinterlässt aber die Liebe in jeder Situation bleibt.
"Ganz egal was passiert, wir haben dich immer lieb!"
Ist erst einmal die Grundbotschaft, das dies nicht von den Kindern als Freibrief für Unfug machen verstanden wird, dass ist ebenfalls ein Aspekt der bei solch einem Elternabend zur Sprache kommen wird.
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Pimm van Hest ist bekannt für seine einfühlsamen Geschichten zu schwierigen Themen. Ich bewundere seine Art, wie er immer die richtigen Worte findet, die Kinder verstehen und Eltern auch noch etwas zu sagen haben.
Seine Botschaft an Kinder und Eltern ist klar zu erkennen. Gerade diese Klarheit macht seine Geschichten so wertvoll und ausdrucksstark.
Die Illustrationen greifen auf hervorragende Weise genau das auf, was emotional die jeweilige  Situation bestimmt.
Dabei sind es nicht nur die Zeichnungen sondern auch die Einbeziehung des Textest mit unterschiedlicher Größe und Position, die zur Verstärkung herangezogen werden.
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Mich als Erwachsener hat dieses Buch schwer beeindruckt und unsere Lesekinder fanden es richtig toll, weil sie endlich einmal wieder über Dinge sprechen konnten, die sie bewegen. Die sie von allein vielleicht nicht angesprochen hätten aber durch das Buch die Gelegenheit hatten darüber zu reden, ihre Erfahrungen in Verbindung zu bringen mit Moiras Erlebnissen.
Bleibt zu hoffen, dass das Buch bei vielen Familien und Einrichtungen ein neues Zuhause findet, damit möglichst wenig Kinder mit einem Bauch voller Gemeinmisse herumlaufen / leben müssen.
 Am Ende sollte stehen:
"Gut, dass ich es gesagt habe!"

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