Unsere Lieblingsbücher

Nayan macht die Augen auf

 

Bildquelle: Achse Verlag
Nayan macht die Augen auf
von Lena Kalisch
32 Seiten
1. Aufl. 20. November 2023
ISBN: 978-3-903408-13-5
Achse Verlag
22,00€

In diesem wertvollen und zauberhaften Bilderbuch gibt es viel zu erleben 
Ein neugieriger, wissbegieriger blinder Junge lässt uns an seiner Welt teilhaben, 
und an der Welt, die ihn durch eine OP zu einem Sehenden macht
Ob eine Welt grau oder kunterbunt ist liegt an der eigenen Wahrnehmung 
Über Blickwinkel und die innere Lebenseinstellung 
Die Welt mit dem Herzen sehen
Für Kinder ab 4 Jahren 
Der Achse Verlag ist vielleicht vielen noch nicht bekannt. Es ist ein kleinerer Verlag mit einem unglaublich starken und wertvolle, Programm, das mit viel Feinsinn unter anderem Bilderbücher auf den Markt bringt, die Themen vermitteln, die nicht so Mainstream sind. Gerade deshalb sind die Bücher so unglaublich wertvoll.
Wenn man sonst durch das Verlagsprogramm eines Verlages blättert, ist es meist so, dass es einige tolle und einige weniger interessante Titel für einen gibt. Es liegt ja immer an den eigenen Interessen und Vorlieben, die ein Buch für einen persönlichen interessant machen. Doch beim Achse Verlag musste ich das allererste Mal feststellen, dass es nun einen Verlag gibt, bei dem absolutes jedes Bilderbuch meine Aufmerksamkeit zu 100% fand, weil es so außergewöhnlich schöne Titel gibt. Bilderbücher, die so viel zu erzählen und vermitteln haben, dass man sie Kindern unbedingt vorlesen sollte. Sie eröffnen neue Welten, inspirieren zum Nachdenken und vermitteln Perspektiven, die sie sonst im Bilderbuch selten ehr weniger erleben.

Genauso ein Bilderbuch ist auch „Nayan macht die Augen auf“, das einen erst in die Welt eines blinden Jungen mitnimmt und ihn dann begleitet, wie er die Welt mit sehenden Augen wahrnehmen lernt.

Es ist ein unglaublich spannendes, gefühlvolles, aber auch amüsantes Bilderbuch, dass Kinder für das Thema Blindheit und die anderen Sinne sensibilisiert und gleichzeitig in die Welt der Sehenden führt, wo deutlich wird, dass es immer im Auge des Betrachters liegt, ob etwas nur Grau in Grau oder doch vielleicht kunterbunt ist.
Um es vorwegzunehmen, das Bilderbuch hat die Kinder so fasziniert und begeistert, dass es zu einem absoluten Lieblingsbuch geworden ist. Gleichzeitig hat die Geschichte einige wunderbare Prozesse in Gang gesetzt von denen ich später mehr erzählen werde.
Aber jetzt wandere ich erst einmal mit euch durchs Buch und die Handlung, in der die Kinder durch direkte Ansprache unmittelbar mit in die Geschichte hineingezogen werden.
Nayan ist blind. Er nimmt die Welt mit seinen anderen Sinnen wahr.
Nayan liebt Milchbrötchen und kann sie schon aus der Entfernung riechen. Er liebt den Gesang der Vögel und er liebt es sich zu verstecken und darin ist er so gut, dass seine Mutter Mira es meist ziemlich schwer hat ihn zu finden. Auch wenn er nicht sehen kann, nimmt er wahr, wo seine Mutter gerade ist. Er kann sie zum Beispiel sehr gut hören und auch riechen. Aber mit der Zeit hat auch die Mutter eine Taktik entwickelt ihn dann doch zu finden. Sie kennt ihren kleinen neugierigen Sonnenschein und seine Vorliebe für Süßigkeiten und so muss sie dann eigentlich nur abwarten bis seine Hand aus dem Nichts auftaucht, um nach den Bonbons zu fischen.
Einfühlsam und sehr anschaulich vermittelt Lena Kalisch ihren Lesern sowohl über die erzählende Geschichte als auch die ausdrucksvollen Bilder, ein Gefühl für Nayans Welt. Dabei macht sie auch deutlich, dass er genauso ein Kind ist wie alle anderen. Ein Kind, dass bestimmte Dinge gerne mag und bestimmte weniger gern. Um die Kinder intensiver an die Handlung zu binden bezieht sie die Leser mit ein und stellt ihnen konkrete Fragen, die sie gleichzeitig inspirieren über etwas nachzudenken und vielleicht auch gleich einmal auszuprobieren. Genau diese Einbeziehung macht das Buch für die meisten Kinder so spannend und nahbar.
Da Nayan zwar viel wahrnimmt es aber auch Dinge gibt, die er noch nicht kennt, hat er viele Fragen, die ihm seine Mutter versucht zu beantworten. Auch hier ist es sehr spannend zu erleben, wie die Mutter versucht seine Fragen so zu beantworten, dass er sie mit seinem Erfahrungsschatz verbinden und somit verstehen kann, obwohl mache Fragen echt schwer zu beantworten sind. Wie erklärt man einem Kind, dass nicht sehen kann, was Farben sind. Einfacher ist es vielleicht zu erklären, wie man selbst aussieht, denn das kann ein Blinder ja auch etwas ertasten und sich so (s)ein Bild machen.
Doch dann kommt der Tag, an dem Nayan mit seiner Mutter in die Klinik fährt, weil die Ärzte eine Methode gefunden haben, ihm sein Augenlicht zu schenken. Wenn alles gut geht, wird Nayan danach sehen können.
Wieder beschreibt Lena Kalisch sehr einfühlsam, wie es dem Jungen in dieser Phase geht. Was kurz nach der OP passiert, ist für viele Kinder, die bereits einmal eine OP-Erfahrung hatten etwas seltsam, denn da erleben wir, dass Nayan zuhause wieder aufwacht und sich an der Augenbinde um seinen Kopf stört, die die Mutter dann  auch direkt behutsam abnimmt.
Ich bin kein Mediziner und habe auch keine Ahnung, was mit Nayan genau gemacht wurde, aber ich denke, um es kindgerecht zu halten wurde hier versucht etwas das Geschehen abzukürzen und zu vereinfachen. Kinder, die schon einmal eine OP am Auge hatten, werden diesen Teil der Handlung vermutlich sehr hinterfragen, weil sie es anders kennengelernt haben. Kinder ohne Backround werden die Geschichte so nehmen wie sie ist.
Aber das ist dann auch der absolut einzige, winzige Kritikpunkt an der Geschichte!
Was wiederum unglaublich toll beschrieben wird ist wie Nayan beginnt ganz vorsichtig alles neu wahrzunehmen und zu sehen beginnt. Wie er seine Mutter das erste Mal sieht, wie er die Wohnung Stück für Stück entdeckt oder auch wie er die Farben kennenlernt und diese auch erst einmal lernen muss zu benennen. Eigentlich mag er alle Farben, nur Grau mag er nicht. Grau findet er langweilig. Doch ausgerechnet dieses Grau in vielen Facetten erlebt er, als er das erste Mal mit seiner Mutter raus geht. Es ist ein trüber Tag. Alles Grau in Grau. Es regnet, die Menschen sind dunkel gekleidet, es ist ungemütlich und gar nicht schön. Nayan ist so enttäuscht von der grauen Welt, dass er lieber wieder gar nichts sehen möchte. Also bindet er sich zuhause seine Augenbinde wieder um.
Und wieder sind es die wundervollen, ausdrucksstarken Bilder und die einfühlsamen Worte der Erzählerin, die einen so gut mit dem Jungen mitfühlen lassen und sehr gut verstehen lassen, was in ihm vorgeht.
Doch dann hat seine Mutter eine wundervolle Idee. Sie schenkt Nayan einen Fotoapparat und zeigt ihm, wie er damit die Schönheit der Welt entdecken kann, die alles andere als grau ist, wenn man die kleinen schönen Dinge sucht, entdeckt und wahrnimmt. Nayan erkennt plötzlich, dass die Welt kunterbunt und wunderschön sein kann, wenn man den Fokus der Wahrnehmung darauf lenkt.
Dann sieht man nicht nur die Vögel im Käfig, sondern die vielen kleinen bunten Vögel, die von einem Ast zum anderen hüpfen, dann sieht man in dem Grau der Straße die kleinen Blümchen heraussprießen. Dann erkennt man, dass die Welt / die Farben durch den Kontrast mit dem Grau oft besonders intensiv wirken, und einem ein besonders schönes Gefühl vermitteln können. Durch die Linse der Kamera erlebt Nayan die kleinen schönen Dinge des Lebens zu erkennen.
Seither begleitet ihn der Fotoapparat und die vielen wundervollen Bilder, die er schon gemacht hat.
Und so schließt sich der Kreis in meiner Buchvorstellung, denn genau das ist es was die Kinder inspiriert hat. Sie sind wie Nayan mit Kameras losgezogen, um ihre Welt einmal durch die Linse wahrzunehmen und haben tatsächlich festgestellt, dass die Welt viel bunter ist als sie dachten. Mehr noch, sie haben Farben und Farbverläufe, Spiegelungen etc. entdeckt, die sie "nur" mit dem Auge vorher gar nicht so wahrgenommen hatten. Sie haben erlebt, dass eine Blume nicht eine Blume ist, sondern ein Gewächs mit vielen Teilen, due das bloße Auge oft gar nicht so wahrnimmt, weil unsere Wahrnehmung oft oberflächlich ist. 
Gleichzeitig hat Nayans Geschichte die Kinder inspiriert einmal die Welt mit verbundenen Augen zu erleben. Es würde hier zu weit führen zu beschreiben, was sie alles erlebt haben, wichtig ist auch nur, zu erwähnen, wie inspirierend dieses Buch ist und das in vielerlei Hinsicht.
Die Welt der Blinden, die Welt der Sehenden und die Welt, die wir erleben können, wenn wir den Fokus auch auf die kleinen Dinge richten und das Herz dafür öffnen, all das erleben wir Dank Lena Kalisch, die uns in Nayans Welten mitnimmt.
Auf euch wartet ein wirklich unglaublich tolles und intensives Bilderbuch mit einer sehr schön beschreibenden Erzählsprache und ausdrucksstarken Bildern, die alles so nahbar machen.

Mehr zum Buch erfährst du auch auf der Seite des Achse Verlag. Der Link führt hin
Zum Abschluss noch die
Insta-Bildergeschichte