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Wie meine Oma mir beibrachte, ohne Augen zu sehen

 

Bildquelle: Bübül Verlag
Wie meine Oma, mir beibrachte, ohne Augen zu sehen
von Annette Rümmele
mit Bildern von Tobias Rümmele
plus Spielideen
46 Seiten
farbig auf schönem Künstlerpapier
2. Aufl. 2020
ISBN-13: 978-3-946807-41-4
Bübül Verlag
14,00€
plus
🙌✋Buchstaben-Domino-Spiel mit Brailleschrift und lateinischer Schrift
auf einem Bogen zum Ausschneiden
Das Buch ist aus dem Bereich Bübül plus »
Literarische Texte mit Übungen, Spielen, Extras für alle Altersgruppen und auch Sprachen Lernende
Über eine intensive Oma-Enkelinnen-Geschichte
 das Blind sein und die Sinne
Wie ein Kind begreift, dass die Großmutter blind ist ... 
Eine schöne Erzählung mit Bildern, Spielideen und einem Buchstabenspiel zum Kennenlernen der Brailleschrift
für Kinder ab 5 Jahren und Selbserleser

Kennt ihr die Geschichten, die man vorliest und man beim Vorlesen das Gefühl hat, dass die Wörter allein von den Lippen rollen? Die Geschichten, bei denen die Kinder mit großen abwesenden Augen, eingemummelt in eine Decke oder mit einem Kuscheltier im Arm lauschen und man hat das Gefühl sie sind in einer anderen Welt? Kennt ihr die Geschichten, wo man sich wünscht, dass sie nie enden, die Geschichten die enden und die Kinder traurig seufzen und man nur ein: "Oh, schon zu Ende" hört?
Genau so eine Geschichte erzählt Annette Rümmele mit "Wie meine Oma, mir beibrachte, ohne Augen zu sehen".
Ihre wunderbare Art zu schreiben fesselt Leser wie Zuhörer und lässt Bilder im Kopf entstehen, die einen durch die Geschichte tragen als würden wir einen Film sehen (so ähnlich beschreibt es ein 10 jähriger Junge). Es müssen nicht immer die actionreichen Handlungen sein, die Kinder begeistern. Auch die leise Geschichten werden geliebt, was die Erzählung der kleinen/großen Rieke und ihrer Oma beweist.
Hierbei erinnert sich die große Rieke an die Zeit als sie klein war und so viel Zeit wie möglich mit ihrer blinden Oma verbrachte. Was Blindsein bedeutete wusste Rieke damals nicht wirklich und da ihre Großmutter alles machte, was andere auch machten und sich völlig "normal" in ihrer Wohnung bewegte und zurecht fand gab es auch nur selten Grund für die kleine Rieke darüber nachzudenken. Einfühlsam und fesselnd nimmt Rieke uns mit in ihre Oma-Welt voller emotionaler Wärme und Geschichten, die die Großmutter von früher erzählte oder sie gemeinsam erlebten. Je älter Rieke wurde je mehr wurde aber auch die Blindheit der Oma zum Thema ihrer Gedanken. Mal fragt sie ihre Großmutter, wie es ist blind zu sein, mal versucht sie sich selbst vorzustellen wie es ist. Dabei kommt sie immer wieder an den Punkt wo sie einfach nur staunt, was ihre Oma alles "sieht" und Annette Rümmele gelingt es mit ihren bildhaften Schilderungen genau dieses Staunen auch beim Leser auszulösen, auf den Leser zu transportieren. Fasziniert lauschen wir Riekes Erzählung, versuchen zuweilen es ihr nach zu machen. Die Augen zu schließen, etwas neben uns zu ertasten und uns vorzustellen wie es ist blind zu sein. Je älter Rieke wird, je mehr sie in die Welt ihrer Oma eintaucht ,je mehr Geschichten von Früher sie erzählt bekommt, je intensiver wird auch ihre ohnehin schon intensive Beziehung. Wie ein eingespieltes Team voller Verbundenheit und Vertrautheit, in der das Sehen eine völlig neue Bedeutung bekommt. Und genau dieser Einblick erweitert auch den Horizont des Lesers bzw. Zuhörers. Neben der Blindheit kommt im Laufe der Zeit auch die Auseinandersetzung mit Taubheit dazu. Was ist schlimmer taub oder blind? Wie ist es nichts hören zu können? Kann man das genauso ausprobieren wie das Blindsein?
Als Rieke in die Schule kommt und das Lesen für sich entdeckt verändert sich etwas in der so engen Beziehung zwischen Großmutter und Enkelin, in der bislang die Oma für die Kleine da war und in der Rieke diese Wärme und den Schutz sehr genoss. Plötzlich konnte sie selbst Geschichten lesen, konnte ihrer Oma vorlesen. Was eigentlich schön ist empfindet die Kleine etwas anders und auch an dieser Veränderung lässt die Autorin uns teilhaben. Als Rieke eines Tages einen schweren Unfall hat, lange im Krankenhaus und später Zuhause liegen muss gibt es eine weitere einschneidende Veränderung, denn Rieke ist verstummt. Wieder ist es die Oma, die sich vermehrt um die Kleine kümmert und sich mit ihr auch ohne Worte versteht. Wie die beiden kommunizieren, wie Rieke sich fühlt und was das Stummsein für alle bedeutet ist ein weiterer spannender Teil der Geschichte, in der aber auch die Blindheit der Oma noch einmal in einem anderen Licht erscheint, denn die Oma kümmert sich auch in Riekes Zuhause um die Enkelin. In der Wohnung ist alles anders und doch ist sie zur Verwunderung der Kleinen sehr sicher unterwegs. Mit viel Einfühlungsvermögen, Liebe, Wärme, Verständnis und kleinen Oma-Tricks gelingt es der Großmutter Rieke aus ihrer Verstummung herauszuholen. Ganz langsam, und doch gibt es den einen entscheidenden Tag mit dem dann auch die Erzählung endet. 

Die Geschichte ist zu Ende und trotzdem möchten wir nicht das sie zu Ende ist. "....und wie geht es weiter?" "...bitte ließ weiter" sind Stimmen die man immer wieder von den Kindern vernimmt, die so in der Geschichte mitgegangen sind, dass sie einfach mit Rieke und ihrer Oma weiter mitreisen möchten. Aber auch die schönste Reise, die schönste Geschichte geht nun einmal zu Ende. Wir gehen etwas traurig, das es schon zu Ende ist, heraus und nehmen ganz viel mit. 
Was die Kinder aus der Geschichte mitgenommen haben, was sie besonders bewegte, was sie besonders faszinierend fanden oder was sie am meisten danach beschäftigt kann Inhalt von vielen Gesprächen sein.
Es liegt sehr nahe die Geschichte zum Anlass zu nehmen über Blindheit und unsere anderen Sinne zu sprechen, wie und was genau man machen kann ist Inhalt des zweiten Teil des Buches, das sehr viel Anregungen vermittelt. Zudem liegt dem Buch ein Bastelbogen für ein Domino-Spiel mit Braille-Schrift bei, dass Sehende- und Blinde zusammen spielen können, das gleichzeitig aber auch Sehenden ein Gefühl für das blinde Lesen vermittelt.
Die Erzählung wird von wundervollen Aquarelle und feinen schwarz-weiß Grafiken, begleitet die Emotionen wecken, Wärme spüren lassen und zuweilen in eine andere Welt entführen.
Mal erinnern sie uns an etwas, mal regen sie unsere Fantasie an und wieder ein anders Mal fokussieren sie und lenken unseren Blick auf das Wesentliche.
So bilden erzählende und bildende, visuelle Kunst eine wundervolle Einheit, die aus einer einfühlsamen Geschichte ein besonderes Leseerlebnis macht, und uns sehr viel reicher entlässt als wir hinein gegangen sind.

Die Geschichte von Rieke und ihrer Oma ist zum Vorlesen für Kinder ab etwa 5 Jahren aber auch zum Selberlesen für Jung und Alt.
Wir haben die Geschichte sowohl mit Vor-als auch Grundschulkindern gelesen und mit Kindern zwischen 7 und 14 Jahren zusammen mit Senioren (Im Rahmen des Projektes "Alt trifft Jung, Jung trifft Alt").
Bei der Lesestunde mit  Vor- und Grundschulkindern haben wir die Geschichte auf drei Tage verteilt. Wobei viele Kinder keine so große Unterbrechung wollten. Bei der generationsübergreifenden Lesung haben wir kleine musikalische Pausen eingebunden. Die Ruhephasen sind dabei besonders für die Kinder sehr wichtig.

Das Thema Blind sein / Blindheit bietet gerade im Vor- und Grundschulbereich sehr viele Möglichkeiten thematisch zu arbeiten. Da ich ein Projekt mit älteren Schülern habe, bei dem wir Bilderbücher für blinde Kinder gestalten habe ich diese Bücher mit in den Kindergarten genommen, um die sehenden Kindern in die Welt der Blinden zu führen.
Bestimmt fällt jedem selbst noch ganz viel ein wie man die Geschichte in die pädagogische Arbeit einfließen lassen und verknüpfen kann.